Reiserecht

Tränen, Wehmut und eine ungewisse Zukunft

Tränen sind geflossen in Parlament und Kommission, das Brexit-Abkommen ist ratifiziert und die britischen EU-Abgeordneten und ihre Mitarbeiter haben ihre Schreibtische in Brüssel und Straßburg geräumt. 47 Jahre lang, seit dem Jahr 1973, war Großbritannien Mitglied in der Europäischen Union und deren Vorläufer. Zum ersten Februar 2020 gilt der Brexit als vollzogen

Welche Auswirkungen hat das für die Bürger der EU?

Mit dem Austritt beginnt zunächst eine Übergangsphase bis zum 31. Dezember 2020. Bis zu diesem Zeitpunkt ergeben sich für die Bürgerinnen und Bürger praktisch keine direkten keine Änderungen. Man kann wie bisher visumfrei zwischen der EU und Großbritannien reisen, mit dem Handy telefonieren ohne Roaming-Gebühren und Waren von britischen Webseiten bestellen. Und Studierende aus der EU erhalten in England, Schottland und Nordirland weiterhin ihre EU-Stipendien.[1]

Großbritannien ist nun zwar ganz offiziell ein Drittstaat, hält sich aber bis zum Jahresende an alle EU-Regeln und zahlt in den EU-Haushalt ein. Nur mitreden in der EU dürfen die Briten nun nicht mehr. 73 britische Abgeordnete haben ihr Mandat verloren. Und mit Wehmut musste gar ein Schotte sein Bürgermeisteramt im Schleswig-Holsteinischen Brunsmark aufgeben. Denn Nicht-EU-Bürger haben in Deutschland weder ein aktives noch ein passives Wahlrecht.[2]

Von den bisher rund 512 Millionen Einwohnern der EU bleiben jetzt nur gut 446 Millionen übrig. Damit schrumpft zugleich das Bruttoinlandsprodukt der EU um rund 15 Prozent. Wen der Brexit nun wirtschaftlich härter treffen wird – die Briten oder die Mitgliedsstaaten der EU – ist umstritten. Deutschland zumindest sieht sich nach dem nunmehr rund dreieinhalbjährigen Brexit-Gezerre mitllerweile gut aufgestellt.

Was ändert sich für die in in Großbritannien lebenden EU-Bürger?

Rund 3,2 Millionen EU-Bürgerinnen und Bürger leben in Großbritannien. Für sie bedeutet der Brexit ein tiefer Einschnitt. Der Austrittsvertrag sichert ihnen zwar vorerst ein Aufenthaltsrecht zu, aber sie müssen sich bis Ende des Jahres registrieren lassen. Bis zum Jahresende kann man durchaus auch weiterhin noch seinen Wohnsitz nach Großbritannien verlegen. Denn in der Übergangsfrist gehört das Land quasi noch zum gemeinsamen Binnenmarkt. Es gilt bis zum Jahresende noch die Freizügigkeit der EU – sofern man auf der Insel einen Job oder genügend Geld für den eigenen Lebensunterhalt hat.

Ob jetzt aber noch ein Wechsel nach Großbritannien sinnvoll ist, erscheint fraglich. Denn über die künftigen Handelsbeziehungen, über das weitere Aufenthalts- und Arbeitsrecht, bis hin zu Änderungen im Gesundheitssystem gibt es viel offene Fragen. Für die Briten jedenfalls soll es ein „Weiter-so“ nicht geben, sonst bräuchten sie ja schließlich den Brexit nicht.

Was passiert ab Januar 2021?

Die Übergangszeit endet nach bisherigem Stand am 31. Dezember 2020. Eine Verlängerung dieser Phase schließt der britische Premier Boris Johnson kategorisch aus.  Kommt es bis dahin nicht zu einem umfassenden Abkommen über die künftigen Beziehungen, droht weiterhin ein „No-Deal-Brexit“ mit harten Zollbeschränkungen und allen Unwägbarkeiten bezüglich der Reisefreiheit, des Aufenthaltsrechts und der Regelungen zur Arbeitserlaubnis.

Vorsicht bei Online-Einkäufen

Bei Online-Einkäufen ab dem 1. Januar 2021 sollte man bedenken, dass es im Streitfall sehr mühsam werden kann, seine EU-Rechte außerhalb der Union vor Gericht durchzusetzen. Denn neben einem deutschen Gericht, das nach hiesigen Regelungen entscheidet, muss künftig immer auch ein britisches Gericht eingeschaltet werden, das alles noch einmal prüft – und das nach britischem Recht vielleicht zu einem ganz anderen Schluss kommt.[3]

Mögliche Änderungen im Reiserecht

Im Flugbetrieb sollte es normalerweise nicht zu größeren Störungen kommen. Denn die EU hat Notfallmaßnahmen vorbereitet, die dann greifen, wenn es zu einem No-Deal-Brexit kommt. Eine Garantie, dass der Flieger wirklich abhebt gibt es jedoch nicht. Wenn man seinen Flug mit einer EU-Fluglinie von oder nach Großbritannien gebucht hat, gelten auch nach einem möglichen Brexit automatisch die EU-Fluggastrechte. [4]

Das gilt auch für britische Fluglinien, sofern man von einem Flughafen innerhalb der EU startet. Fliegt man jedoch  mit einer britischen Fluggesellschaft (wie zum Beispiel der British Airways) und startet in Großbritannien, gelten für nach einem No-Deal-Brexit nur die britischen Fluggastrechte. Diese sind derzeit noch mit den EU-Regeln identisch – Großbritannien aber kann sie künftig verändern.

Bei einer Zugreise nach Großbritannien mit dem Eurostar gelten die EU-Rechte für Fahrgäste im Eisenbahnverkehr nur auf den Abschnitten innerhalb der EU.[5] Bei Bahnreisen innerhalb von Großbritannien hingegen gelten ausschließlich die britischen Fahrgastrechte – selbst dann, wenn man das Ticket in der EU erworben hat.[6]

Änderungen im Versicherungsrecht

Bei Reisen mit dem Auto ist der EU-Führerschein auch künftig in Großbritannien gültig. Man sollte aber vor der Reise mit seiner Versicherung abklären, ob die Versicherungs-Police eine Fahrt nach Großbritannien abdeckt und ob man einen Versicherungsnachweis (wie zum Beispiel die Grüne Versicherungskarte) mit sich führen müssen.

Bei Reisen nach Großbritannien wird eine Auslandsreiseversicherung wichtiger denn je. Denn obwohl die Europäische Arzneimittelagentur ihren Hauptsitz von London nach Amsterdam verlegt hat, wären vorübergehende Engpässe bei der Versorgung mit manchen Arzneimitteln denkbar.

Ohne Abkommen drohen Zollgrenzen

Nicht nur bei Onlineeinkäufen drohen bei einem No-Deal-Brexit  künftig Steuern und Zoll. Bei Urlaubsreisen nach England beispielsweise werden für dort getätigte Einkäufe bei der Rückkehr an der EU-Grenze Zölle fällig. Bei Reisen mit dem Schiff oder dem Flugzeug z.B. wären dann viele Waren lediglich noch im Wert von 430 Euro zollfrei, mit dem Auto sogar nur noch im Wert von 300 Euro. Spezielle Warengrenzen gäbe es dann auch bei Tabak und Alkohol.

Die EU-Kommission hat für ein mögliches No-Deal-Szenario verschiedene Info-Materialien erstellt:

ein Faktenblatt zu Verbraucherrechten

ein Faktenblatt zu Reiseverbindungen

 

Der Verbraucherzentrale Bundesverband rät allen, die auf „Nummer sicher“  gehen wollen: Wenn es geht, erledigen Sie Angelegenheiten in Großbritannien möglichst vor dem 31. Dezember 2020! Denn letztlich ist alles offen – selbst eine spätere Rückkehr der Briten in die EU, falls  ihnen die Auswirkungen des Brexits eines Tages doch nicht mehr gefallen sollten.

Einzelnachweise:

[1] ZDF Heute: „Was bedeutet der Brexit für EU und Briten?“, in: zdf.de vom 29. Januar 2020, Abruf am 31. Januar 2020.

[2] Lübecker Nachrichten: „Mit den Briten muss auch Bürgermeister Iain Macnab gehen“, in: ln-online.de vom 24. April 2019, Abruf am 31.Januar 2020.

[3] Verbraucherzentrale Bundesverband: „Brexit: Was bedeutet das für Verbraucher?“, in: verbraucherzentrale.de vom 24 Januar 2020, Abruf am 31.Januar 2020.

[4] Europäische Union: „Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen“, in: eur-lex.europa.eu  vom 17. Februar. Oktober 2004, Abruf am 31. Januar 2020.

[5] Europäische Union: „Fahrgastrechte im Eisenbahnverkehr  . Verordnung (EG) 1371/2007 “, in: eur-lex.europa.eu vom 1. Oktober 2019, Abruf am 31. Januar 2020.

[6] Transport Focus: „Advice and Complaints“, in:  transportfocus.org.uk, Abruf am 31 Januar 2020.

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Tobias Köhler

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