Rentenbesteuerung verfassungswidrig?

Die bis zum Jahr 2040 geltende Übergangsregelung für Rentenempfänger verstößt möglicherweise gegen das Grundgesetz. Wie die die Süddeutsche Zeitung (SZ) berichtet, äußerte der stellvertretende Vorsitzende des für Alterseinkünfte und -vorsorge” zuständigen zehnten Senats des Bundesfinanzhofs (BFH), Egmont Kulosa, in einem Kommentar für einen juristischen Fachdienst entsprechende Bedenken.[1]

Die heute geltende Rentenbesteuerung geht auf eine Reform unter der Regierung des früheren SPD-Bundeskanzlers Gerhard Schröder aus dem Jahr 2004 zurück. Das Gesetz wurde nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts beschlossen und trat zum 1. Januar 2005 in Kraft.[2]

Die Richter in Karlsruhe hatten im März 2002 die unterschiedliche Besteuerung von Renten und Pensionen für verfassungswidrig erklärt und deren Gleichbehandlung gefordert. Dabei hatten sie allerdings vorgegeben, dass eine doppelte Besteuerung zu vermeiden sei. Der Staat nämlich dürfe die Bürger nicht zweimal steuerlich für das Gleiche zur Kasse bitten – bei den Beitragszahlungen an die Rentenkassen während des Erwerbslebens und dann noch ein zweites Mal bei der späteren Auszahlung der Renten.

Übergangsfrist zur nachgelagerten Besteuerung

Die Bundesregierung ging daraufhin zur sogenannten „nachgelagerten Besteuerung” über: Die Monatszahlungen von der Rentenversicherung sollten steuerpflichtig werden, die Beitragszahlungen jedoch während des Erwerbslebens sollten aus unversteuertem Bruttoeinkommen geleistet werden.

Dabei benötigten die Finanzbehörden allerdings viele Jahre, um die weitreichenden Umstellungen vorzunehmen. Durch die bis ins Jahr 2040 geltenden Übergangsregelungen komme es nach Ansicht Kulosas nun aber doch zu einer „Doppelbesteuerung”. Seiner Auffassung nach sei die Art und Weise, wie deutsche Finanzbehörden die Renten von Millionen Bundesbürgern besteuern, „evident verfassungswidrig”. Betroffen davon wären nicht nur heutige Ruheständler, sondern auch künftige Rentner-Generationen – Menschen, die heute 45 Jahre sind oder jünger.

„Keine komplizierte mathematische Übung“

Mit der sogenannten „nachgelagerten Besteuerung” fördert der Staat die finanzielle Vorsorge für das Alter, indem er die Beiträge dafür weitgehend steuerfrei stellt. Im Gegenzug besteuert er die Rentenzahlungen. Allerdings ist für die Umstellung eine längere Übergangszeit vorgesehen und das ist die Crux: Es bedürfe keiner komplizierten mathematischen Übungen” schrieb der der Finanzrichter, um bei Angehörigen der heute mittleren Generation, die um 2040 in den Rentenbezug eintreten werden, eine Zweifachbesteuerung nachzuweisen. Denn diese Personen würden ihre Rentenbezüge in vollem Umfang versteuern müssen, könnten ihre Beiträge aber nur 15 Jahre lang von der Steuer absetzen.

Seit der Gesetzesänderung im Jahr 2005 können die Bürger ihre Vorsorgeaufwendungen für die Altersvorsorge als “Sonderausgaben” in steigendem Umfang steuerlich geltend machen – dies in Stufen von 2005 bis 2025. Waren 2005 nur 60 Prozent der Vorsorgeaufwendungen absetzbar, so werden es 2025, mit Ende der Übergangsfrist, 100 Prozent sein.

Volle Entlastung nur maximal 15 Jahre

Im Gegenzug werden dafür die Rentenbezüge schrittweise stärker besteuert. Das waren 2005 zunächst nur 50 Prozent der Rente. Am Ende, im Jahr 2040, sollen auch das 100 Prozent sein. Wer also 2040 an in Ruhestand geht, muss seine Rente von da an bis zum Lebensende voll versteuern. Voll entlastet aber wird er bei den Vorsorgeaufwendungen nur maximal 15 Jahre.

Egmont Kulosa ist nur einer von fünf Richtern am Bundesfinanzhof, die dort in München in Sachen Altersbezüge Recht sprechen. Und bislang liegt vom BFH auch noch keine konkrete Berechnung vor. Doch in Sachen Alterssicherung gilt der Bundesrichter als juristisches Schwergewicht. Nicht von ungefähr erschien sein Beitrag in ein einem Fachdienst, der gewissermaßen als Pflichtlektüre für Steuerberater und Finanzjuristen gilt.

Bereits Bert Rürup hatte Minister offenbar gewarnt

Nach Informationen der SZ habe selbst der „Erfinder” der nachgelagerten Besteuerung, der Rentenexperte Bert Rürup, bereits 2007 einen Brandbrief an die damaligen Bundesminister Peer Steinbrück (Finanzen) und Franz Müntefering (Wirtschaft) geschrieben und davor gewarnt, dass die Übergangsregelung des Alterseinkünftegesetzes bei Zugrundelegung der aktuellen Rahmenbedingungen in erheblichem Umfang gegen das Verbot der Zweifachbesteuerung verstoße.

Die Opposition hat bereits Witterung aufgenommen. FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki forderte von der Bundesregierung entsprechende Aufklärung. Auf eine „Kleine Anfrage” der FDP-Fraktion beschied das BMF im August lediglich recht lapidar, das nach Auffassung der Bundesregierung im Rahmen der Übergangsregelung zur nachgelagerten Besteuerung praktisch keine verfassungswidrige Zweifachbesteuerung auftrete. Die harte Kritik des BFH-Richters Egmont Kulosa an der Rentenbesteuerung lasse nun aber „an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig”, so Kubicki.

Opposition fordert Offenlegung konkreter Zahlen

Die FDP erwartet nun, dass die Bundesregierung den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit unverzüglich ausräumt und dem Deutschen Bundestag entsprechende Berechnungen vorlege. Andernfalls, so Kubicki, bleibe am Ende nur der Gang nach Karlsruhe.[3]

Einzelnachweise:

[1]Süddeutsche Zeitung: „Bundesrichter hält Rentenbesteuerung für verfassungswidrig“, in: sueddeutsche.de vom 28. November 2019, Abruf am 28. November 2019.

[2]Wikipedia: „Alterseinkünftegesetz“, in: de.wikipedia.org, Abruf am 28. November 2019; siehe auch: Bundesgesetzblatt,  Jahrgang 2004,Teil I Nr. 33: „Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen“, in: bgbl,de vom 5. Juli 2004, Abruf am 28. November 2019.

[3] Focus Money: „Betrifft Millionen Deutsche: Bundesrichter hält Rentenbesteuerung für verfassungswidrig“, in focus.de vom 28. November 2019, Abruf am 28. November 2019.

 

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Wilfried Müller

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