Categories: SonstigeSonstiges

Grünen-Politikerin Künast erringt Teilerfolg gegen Berliner Skandalurteil

Einige der obszönen Beleidigungen, die die Politikerin Renate Künast im vergangenen Jahr zur Anzeige gebracht hatte, sind – nach Künasts Widerspruch – jetzt doch Beleidigungen. Das Berliner Landgericht begründete die Neubewertung der Kommentare mit dem nunmehr dargelegten Kontext des Ausgangsposts und der inzwischen zusätzlich erlangten gerichtlichen Erkenntnisse zu dessen Urheber. Facebook darf der Grünen-Politikerin in diesen sechs Fällen über den Namen und die E-Mail-Adresse des Nutzers, deren IP-Adresse sowie den Uploadzeitpunkt Auskunft erteilen. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.[1]

In sechs von 22 Fällen werden nun – anders als noch im Skandalurteil vom 9. September 2019 – tatsächlich Beleidigungen erkannt. Damals hatte das Landgericht Berlin ihre Klage abgewiesen (wir berichteten, siehe unten). Künast müsse sich überzogene Kritik gefallen lassen, urteilte das Gericht im vergangenen Jahr  (Az: 27 AR 17/19). Selbst die Beschimpfung als „Drecks Fotze“ bewege sich noch haarscharf an der Grenze des von der Antragstellerin Hinnehmbaren, hatte Künast laut Gerichtsurteil hinnehmen müssen. Damalige Begründung: Von einer Schmähung könne nicht ausgegangen werden, wenn die Äußerungen im Kontext einer Sach-Auseinandersetzung stehen.

Auch mit dieser Urteilskorrektur mag sich Renate Künast keineswegs zufrieden geben. Denn die übrigen 16 Kommentare stellten nach Ansicht der 27. Kammer des Gerichts noch immer keine Straftaten dar, weil die Kommentare einen Sachbezug zu einer Äußerung Künasts aus dem Jahr 1986 hätten. Politiker verschiedener Parteien hatten sich entsetzt über das Skandal-Urteil geäußert, leiste es doch der Verrohung der Sprache und der Hetze und Hasskultur im Netz Vorschub.

Künast hatte über ihre Anwaltskanzlei Strafanzeige gegen die Entscheider des damaligen Skandalurteils gestellt. Es liege der Verdacht nahe, dass sich die Richter aufgrund ihrer politischen Überzeugungen zu einem schlicht unvertretbaren Urteil entschieden hätten, schrieb die Kanzlei. Im Beschwerdeverfahren hat das Landgericht sein Urteil nun zumindest teilweise revidiert.

Ursprünglicher Beitrag (20. September 2ß19):

Grünen-Politikerin muss sich „Drecks Fotze” nennen lassen

Landgericht Berlin fällt Skandal-Urteil zu Schmähungen im Internet

Normalerweise sind Beleidigungen strafbar. Anscheinend gilt das nicht im Falle der Grünen-Politikerin Renate Künast. Sie hatte sich gerichtlich zu wehren versucht, nachdem sie auf Facebook mit Attributen wie ein „Stück Scheiße”, „Schlampe” oder „Geisteskranke” bedacht wurde. Wie die Berliner Morgenpost berichtete, hat das Landgericht Berlin ihre Klage abgewiesen. Künast müsse sich überzogene Kritik gefallen lassen, urteilte das Gericht (Az: 27 AR 17/19). [2]

Hintergrund ist ein Zwischenruf der Grünen-Politikerin, die damit lediglich den originalen Wortlaut eines umstrittenen Beschlusses der Grünen in Nordrhein-Westfalen um einen im Beschluss enthaltenen Konditionalsatz komplettieren wollte. Damals, im Jahr 1986, sprach im Berliner Abgeordnetenhaus eine grüne Fraktionskollegin zum Thema häusliche Gewalt. Ein CDU-Abgeordneter stellte die Zwischenfrage, wie die Rednerin zu jenem Beschluss der Grünen in Nordrhein-Westfalen stehe, die Strafandrohung wegen sexuellen Handlungen an Kindern solle aufgehoben werden. Künast rief dazwischen: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist!” und ergänzte damit den fehlenden Nachsatz des Beschlusses, ohne dazu Position zu beziehen, ob Sex mit Kindern ohne Gewalt etwa okay wäre.

Übelste sexistische Schmähungen

Der rechte Netzaktivist Sven Liebich aber hatte diesen Einwurf Künasts aus einem späteren Zeitungsartikel der Welt (2015) aufgegriffen und mit einem eigenen Kommentar versehen. In den darauf Bezug nehmenden Antwort-Postings fielen insgesamt 22 übelste Beleidigungen und Schmähungen über die Grünen-Politikerin – teils mit widerlichen sexistischen Inhalten. Künast wollte mit ihrer Klage vor dem Landgericht erreichen, dass Facebook ihr die Namen und die Adressen der Kommentatoren herausgibt, um zivilrechtliche Schritte gegen diese einleiten zu können.

Doch das Berliner Landgericht urteilte nun, dass von einer Schmähung nicht ausgegangen werden könne, wenn die Äußerung in dem Kontext einer Sachauseinandersetzung stehe. Da die Öffentlichkeit Künasts Zwischenruf als Zustimmung zu dem Beschluss der NRW-Grünen gewertet habe, stellten entsprechende Kommentare keine Diffamierung der Person der Antragstellerin und damit keine Beleidigungen dar, so das Gericht. Selbst die Bezeichnung als „Drecks Fotze” bewege sich noch haarscharf an der Grenze des von der Antragstellerin Hinnehmbaren.

Unverständnis und Entsetzen über Urteil

Politiker verschiedener Parteien äußerten sich entsetzt über das Urteil, leiste es doch der Verrohung der Sprache und der Hetze und Hasskultur im Netz Vorschub. Sprache sei nicht nur Kommunikation, sondern Ausdruck von respektvollem, kultivierten Miteinander, sagte die FDP-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Wenn diese Kultur nicht mehr juristisch geschützt wird, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis den Worten Gewalt folgt.“

Linken-Parteichefin Katja Kipping sagte, diese Form von Hass werde noch immer zu sehr verharmlost. Das müsse aufhören! Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jan Marco Luczak nannte das Urteil „absolut daneben”. Und selbst der Pressesprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Christian Lüth, twitterte, niemand sollte in Deutschland so beschimpft werden dürfen.

Künast kündigte an, gegen das Urteil vorgehen zu wollen. Der Beschluss des Landgerichts sende ein katastrophales Zeichen, insbesondere an alle Frauen im Netz, welchen Umgang Frauen sich dort gefallen lassen sollen, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur dpa.[3]

Einzelnachweise:

1] Landgericht Berlin: „Beschwerde einer Politikerin wegen ihres Antrags gegen eine Social Media Plattform auf Gestattung der Herausgabe von Nutzerdaten teilweise erfolgreich”, in: berlin.de vom 20 Januar 2020, Abruf am 22. Januar 2020.

[2] Berliner Morgenpost: „Beschimpfungen – Kühnast will gegen Urteil vorgehen“, in: morgenpost.de  vom 20. September 2019, Abruf am 20. September 2019.

[3] Beck aktuell: „LG Berlin: Facebook-Beschimpfungen gegen Künast keine Beleidigungen“, in: rsw.beck.de vom 19. September 2019, Abruf am 20.. September 2019.

Share
Werner Schmid

Recent Posts

Empfängnis­verhütende Mittel können beihilfefähig für andere Krankheiten sein

BVerwG: Verhütungsmittel zur Krankheitsbehandlung können beihilfefähig sein Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) befasste sich mit der Frage,…

27, August 2020

Restzahlungen bei Pauschalreisen

Pauschalreisen in Coronazeiten: Muss ich den Restpreis bezahlen? Sind Sie wegen der Coronalage noch unsicher,…

25, August 2020

Kompromiss-Urteil zu Schönheitsreparaturen

BGH: Vermieter trifft auch bei unrenoviert übergebener Wohnung eine Instandhaltungspflicht Der BGH hatte über zwei…

20, August 2020

So erkennen Sie Betrugsversuche

C.B. Group Inkasso verschickt gefälschte Mahnungen: So erkennen Sie Betrugsversuche Fast wöchentlich gibt es neue…

18, August 2020

Das krankenversicherte Kind

Bei Möglichkeit der Mitversicherung haben Kinder keinen Anspruch auf privaten Krankenversicherungsschutz Das OLG Frankfurt am…

13, August 2020

Dieselskandal

Nacherfüllungsanspruch kann sich auf Lieferung eines Nachfolgemodells erstrecken Das OLG Köln hat entschieden, dass der…

11, August 2020