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Auch Flaschensammler haben Anspruch auf „Hartz IV“

„Hartz IV“ zu beziehen ist demütigend, unmotivierend und wird in einem der reichsten Sozialstaaten der Welt wohl von Betroffenen zwangsläufig als total ungerecht empfunden. Denn oft haben sozial Verarmte kaum eine Chance, sich gegen die Willkür der Schergen der Staatsmacht und ihrer Verwaltungsbehörden, die über Ansprüche nach dem Bundessozialgesetzbuch (SGB) entscheiden, zu wehren.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte Anfang November 2019 die bisher gängigen Leistungskürzungen für Hartz-IV-Bezieher für teilweise verfassungswidrig erklärt (wir berichteten). Die Richter hatten entschieden, dass der Staat Hartz-IV-Bezieher bei Pflichtverstößen nur noch in Höhe von maximal bis zu 30 Prozent abstrafen darf. Zuvor strichen die Leistungsabteilungen der Jobcenter unter Umständen mitunter sogar die gesamten Leistungen.

Flaschenpfanderlöse können nicht kontrolliert werden

Viele Empfänger von Sozialleistungen verdienen sich mit dem Sammeln von Pfandflaschen ein erkleckliches Zubrot. Es ist quasi die einzig legale Art, sich zu Hartz IV abzugsfrei mehr als 100 Euro monatlich hinzu zu verdienen. Denn die Bar-Erlöse aus dem Flaschenpfand können die Ämter nicht kontrollieren. Manch cleverer Flaschensammler bringt es so durchaus auf 20 bis 25 Euro am Tag. Andere, vor allem ältere Mitbürger, tun sich da freilich schwerer.

Es gibt aber auch Flaschensammler, die allein von dem Ertrag des eingesammelten Leerguts leben bzw. „leben müssen“. Manche mögen es vielleicht gar nicht anders. Sie verzichten freiwillig auf jedwede Sozialleistungen, weil sie  eine rechtliche Beziehung zum Staat und seinen regionalen Verwaltungsbehörden grundsätzlich nicht mögen oder  vielleicht sogar ablehnen. Andere hingegen haben einfach keine Chance, Hartz IV bewilligt zu bekommen. So zum Beispiel, wenn sie dem Amt gegenüber– ob nun wissentlich oder auch nur versehentlich – falsche oder unpräzise Angaben gemacht haben!

Debatte über Hartz-IV-Reform

Seit dem Urteil des Verfassungsgerichtes wird in Politik und Gesellschaft über eine grundsätzliche Änderung des Hartz-IV-Gesetzes lebhaft diskutiert. So gehörten beispielsweise nicht nur die viel zu geringen Regelsätze für die Grundsicherung auf den Prüfstand. Erwerbstätige Hartz-IV-Empfänger müssten künftig auch mehr vom selbst verdienten Geld behalten dürfen, fordern Kritiker. Bis hier aber eine Änderung in Gesetzesform gegossen wird, dürfte noch viel Zeit ins Land streichen.[1]

 

Indes aber hat sich jetzt eine 53-jährigen Düsseldorferin vor Gericht das Recht auf die Sozialleistungen nach SGB II erstritten. Die wohnungslose Frau ohne Vermögen und ohne Einkünfte habe Anspruch auf die Hartz-IV-Regelleistung urteilte das Sozialgericht Düsseldorf. Ihre Einnahmen aus dem Sammeln von Pfandflaschen seien zu gering (AZ: S 37 AS 3080/19).[2]

Widersprüchliche Angaben zu Lebensverhältnissen

Die Frau lebt auf dem Grundstück der Mutter ihres ehemaligen Lebensgefährten. Damit lebe sie nicht in einer Bedarfsgemeinschaft mit einer andern Person, stellte das Gericht klar und verwies auf eine umfangreiche Beweisaufnahme zu den tatsächlichen Lebensverhältnissen der Klägerin.

Die Frau hatte in der Vergangenheit gegenüber dem Jobcenter Düsseldorf offenbar widersprüchliche Aussagen zu ihren Wohnverhältnissen abgegeben. Dabei ging es dem Gericht zufolge um die Frage, ob sie gemeinsam in einem Haus mit ihren ehemaligen Lebensgefährten und dessen Mutter wohne oder ob sie lediglich außerhalb des Hauses auf dem Grundstück in einer Art Wohnmobil (einem “Sprinter” bzw. in einem Bauwagen lebe.

Nur das Kindergeld wird angerechnet

Daher hatte das Jobcenter in der Vergangenheit ihren Antrag auf Gewährung von Regelleistungen abgelehnt. Die Frau hatte nun vor Gericht geltend gemacht, dass sie zwar keine Miete zahle und auch keine Unterhaltskosten benötige. Aber auf den Regelbedarf sei sie dennoch dringend angewiesen. Das Düsseldorfer Sozialgericht gab der Frau jetzt Recht.

Von dem ihr zustehenden Regelbedarf dürfe nur das Kindergeld angerechnet werden, das ihr als Kindergeldberechtigte für ihre Tochter zur Verfügung gestanden habe, urteilte die 37. Kammer des Sozialgerichtes. Die Einnahmen aus dem Flaschensammeln seien jedoch so gering, dass diese anrechnungsfrei bleiben müssten. Denn die Lage der 53-jährigen werde dadurch nicht so günstig beeinflusst, dass daneben Leistungen vom Jobcenter nicht gerechtfertigt wären. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Einzelnachweise:

[1] Wolters Kluwer Deutschland GmbH: „Debatte um Hartz-IV-Reform“, in: lto.de vom 6. Januar 2020, Abruf am 9. Januar 2020.

[2] Ministerium der Justiz, Pressestelle: „53-jährige Düsseldorfer Pfandflaschensammlerin hat einen Anspruch auf Harz IV“, in: justiz.nrw vom 8. Januar 2020, Abruf am 9. Januar 2020.

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Tobias Köhler

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