„Schallende Ohrfeige für den Regierungssprecher“

Die Bilder von den Krawallen beim G20-Gipfel im Jahr 2017 in Hamburg gingen um die Welt. Für einige Reporter, welche die Tumulte und Straßenschlachten wie auch den Gipfel selbst dokumentieren wollten, hieß es jedoch: „Wir müssen draußen bleiben“.  Während des Gipfels wurden nämlich 32 Journalisten nachträglich die Akkreditierung zur Berichterstattung entzogen. Das war eindeutig rechtswidrig, entschied jetzt das Verwaltungsgericht (VG) Berlin. Denn weder lagen die Voraussetzungen dafür vor, noch wurde das Ermessen fehlerfrei ausgeübt  (VG 27 K 516.17, 519.17).[1]

Der Akkredditierungsentzug sei aus Sicherheitsgründen auf Anraten des Verfassungsschutzes erfolgt. Die Betroffenen selbst konnten sich nicht erklären, warum sie plötzlich zum Sicherheitsrisiko erklärt wurden. Als sie Wochen später Auskunft vom Bundeskriminalamt (BKA) bekamen, war das Erstaunen umso größer: In der polizeilichen Verbunddatei INPOL fanden sich Einträge über angebliche Straftaten, die zum Teil bis zu 15 Jahre zurücklagen.[2]

Polizeiliche Einträge waren falsch

Recherchen ergaben allerdings, dass viele der polizeilichen Einträge falsch waren oder sich auf Ermittlungsverfahren bezogen, die meist in einem frühen Stadium eingestellt worden waren. So fanden die Beamten im BKA-Computer bei einem der betroffenen Journalisten ein Fall von „Hausfriedensbruch” aus dem Jahre 2015. Tatsächlich aber hatte er damals als Fotograf über eine Hausbesetzung berichtet. Seine Daten wurden von der Polizei festgestellt, das Verfahren dann aber rasch eingestellt. Hinzu kamen offensichtliche Namensverwechslungen. So wurde beispielsweise ein Moderator des norddeutschen Rundfunks vom Gipfel ausgeschlossen, weil er mit einem rechtsextremen Reichsbürger verwechselt wurde.

Insbesondere Fotografen, die von Protestaktionen mit der Kamera berichten, geraten immer wieder ins Visier der Polizeibehörden.  Dass die Daten danach als „linksextreme Straftaten” über Jahre in den Polizeicomputern gespeichert und vom Verfassungsschutz als linksextremer Aktivismus verbucht werden, wie  es durch die Vorgänge um G20 publik wurde, ist ein absoluter Skandal.

Lageeinschätzung des BKA absurd

Die Lageeinschätzung des Bundeskriminalamtes (BKA ) klingt absurd. Allen Ernstes ging das BKA davon aus, dass einer der Journalisten „seinen Schuh oder eine Videokamera” auf einen der ausländischen Regierungschefs werfen könnte. Deshalb habe man den „negativen Symbolwert etwaiger körperlicher Attacken” in die Sicherheitserwägungen einbeziehen müssen.

Die Bundesregierung räumte damals in vier der 32 Fälle nachträgliche Irrtümer ein, beharrte aber bis zuletzt darauf, dass den übrigen 28 Journalisten die Akkreditierung zu Recht entzogen wurde.  Ein Anwalt des Bundes begründete die nachträgliche Verweigerung der Akkreditierungen damit, dass sich die Sicherheitslage in der Stadt während des Gipfels „dramatisch” verändert habe. Man habe die Entscheidung unter hohem Zeitdruck treffen müssen.

Massiver Eingriff in die Pressefreiheit

Vom Verfassungsschutz sei damals die Information gekommen, dass die besagten Journalisten in der Nähe zu linksextremen Gruppierungen stünden. Das habe man wegen des Zeitdrucks nicht konkret überprüfen können. Man habe kein Risiko eingehen wollen und habe sich dann für den Ausschluss entschieden. Die Regierungsseite beantragte deshalb, die Klagen abzuweisen.

Für Journalisten kommt ein Entzug der Akkreditierung quasi einer Art Berufsverbot gleich. Die Kläger verwiesen entsprechend auf den massiven Eingriff in die Pressefreiheit. Konkrete Vorwürfe hätten nicht vorgelegen, und die Entscheidung sei nicht aufgrund von veränderten Sachverhalten getroffen worden. Das Bundespresseamt hätte zudem direkt beim Verfassungsschutz konkrete Informationen nachfragen müssen

Weitere Klageverfahren anhängig

Das VG Berlin gab den Klagen der beiden Journalisten statt. Ihnen sei die Akkreditierung rechtswidrig entzogen worden. Nach Ansicht der Richter der 27. Kammer wäre die die Behörde zu diesem Schritt nur berechtigt, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die das öffentliche Interesse ohne den Widerruf gefährden würden.

Das Urteil ist die erste Entscheidung zu den nachträglich entzogenen Akkreditierungen beim G20-Gipfel. Das Urteil des Berliner VG könnte so nun auch Bedeutung für weitere Fälle haben. Insgesamt liegen dem Berliner VG dazu neun Klagen gegen das Presse- und Informationsamts der Bundesregierung vor. Die Bundesregierung kann gegen die Entscheidung noch einen Antrag auf Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg stellen.[3]

„Früher traten die Leute wegen sowas zurück“

In Journalistenkreisen wird das Urteil auf Twitter heftig diskutiert. Arnd Henze vom WDR in Köln nannte das Urteil eine „Schallende Ohrfeige für den Regierungssprecher”. Viele Kollegen beklagen, dass das Urteil keinerlei Konsequenzen habe. Einige forderten sogar mehr oder weniger direkt den Rücktritt des Regierungssprechers Steffen Seibert. „Früher traten Leute wegen sowas zurück” heißt es so beispielsweise in einem Re-Tweet. Andere befürchten, dass die Polizeibehörden bei den nächsten Einsätzen vermutlich wieder genauso handeln würde, wenngleich auch das dann zwei Jahre später erneut als rechtswidrig eingestuft werde.[4]

Einzelnachweise:

[1] Berlin Online: „Entzug zweier G20-Akkreditierungen war rechtswidrig”, Pressemitteilung Nr. 39/2019, in: berlin.de vom 20. November 2019, Abruf am 21. November 2019.

[2] ARD Tagesschau: „Entzug von Akkreditierungen unrechtmäßig”, in: tagesschau.de vom 20. November 2019

und: „Mit Kameras auf Staatsgäste werfen?”, in: tagesschau.de vom 20. November 2019, Abruf am 21. November 2019.

[3] Legal Tribune Online LTO: „G20-Akkreditierungen durften nicht widerrufen werden”, in: lto.de vom 20. November 2019, Abruf am 21. November 2019.

[4] Arnd Henze via Twitter: „Schallende Ohrfeige für @regsprecher”, in: twitter.com vom 20. November 2019, Abruf am 21. November 2019.

 

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Wilfried Müller

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