Strenge EU-Vorgaben zur Schadstoffmessung

Schon einzelne Grenzwertüberschreitungen bei der Schadstoffmessung verstoßen gegen EU-Recht. Eine weitreichende Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) stärkte damit auch die Rechte von Stadtbewohnern. Bei der Schadstoffmessung von Stickoxiden und Feinstaub seien die Werte an jeder einzelnen individuellen Messstationen entscheidend, nicht deren Mittelwerte, urteilten die Luxemburger Richter.[1]

Im aktuellen Fall hatten Einwohner der belgischen Hauptstadt Brüssel sowie eine Umweltorganisation für die Einrichtung eines Luftqualitätsplanes und die Errichtung der dazu nötigen Messstationen vor enem belgischen Gericht geklagt. Daraufhin baten die Richter den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg um eine konkrete Auslegung des EU-Rechts.

Urteil hat auch Folgen für Deutschland

Das Urteil dürfte auch für Deutschland weitreichende Folgen haben. Denn Luftschadstoffe, Grenzwerte und Messstationen sind auch hierzulande ein Streitthema – insbesondere wenn es um Diesel-Fahrverbote geht. Strittig sind dabei immer wieder die Platzierung von Mess-Stationen und die Auslegung der Messwerte bei der Einhaltung von Grenzwerten. 2018 wurde deutschlandweit in 57 Städten gegen den EU-Grenzwert für Stickstoffdioxid verstoßen.[2]

Um Fahrverbote zu vermeiden hatten in der Vergangenheit insbesondere  CSU-Politiker immer wieder Zweifel an der Platzierung der Apparate und der Aussagekraft der Messwerte geäußert. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte beispielsweise kritisiert, dass Geräte direkt an Kreuzungen oder Busbahnhöfen aufgebaut würden.[3] Der EuGh stellte demgegenüber klar, dass die EU-Regeln eindeutig vorsähen, dass Messstationen so einzurichten seien, dass sie Informationen über die am stärksten belasteten Orte lieferten. Überdies sähen die EU-Regeln es als verpflichtend vor, eine Mindestzahl von Probenahmestellen einzurichten. Dabei sei es Sache der nationalen Gerichte, die Einhaltung dieser Verpflichtungen zu überprüfen.

Mittelwerte nicht zulässig

Um zu verhindern, dass Luftverschmutzungsgrenzwerte „schön gerechnet” werden, sei es laut EuGH verboten, Mittelwerte zu bilden. Denn die Bestimmung eines Mittelwerts der Messergebnisse aller Probenahmestellen in einem Gebiet oder Ballungsraum, so urteilten die Luxemburger Richter, lieferten keinen zweckdienlichen Hinweis auf die Schadstoffexposition der Bevölkerung. Entscheidend sei vielmehr der an jeder einzelnen Probenahmestelle gemessene Verschmutzungsgrad. Für die Feststellung, dass ein Grenzwert im Mittelungszeitraum eines Kalenderjahrs überschritten wurde, genüge es daher, wenn an nur einer Probenahmestelle ein über diesem Wert liegender Verschmutzungsgrad gemessen werde.

Der Gerichtshof wies darauf hin, dass der Standort der Probenahmestellen bei dem System zur Beurteilung und Verbesserung der Luftqualität eine entscheidende Rolle spiele, insbesondere wenn der Verschmutzungsgrad eine bestimmte Schwelle überschreitet. Denn der Zweck der Richtlinie wäre gefährdet, wenn Mess-Stationen, die sich in einem bestimmten Gebiet oder Ballungsraum befinden, nicht im Einklang mit den von ihr aufgestellten Kriterien eingerichtet würden. Daher müssten die zuständigen nationalen Behörden den Standort der Mess-Stellen so wählen, dass die Gefahr unbemerkter Überschreitungen von Grenzwerten minimiert werde.[4]

Bürger dürfen Mess-Standorte überprüfen lassen

Auch die Rechte betroffener Anwohner wurden durch das Urteil gestärkt. Mehrfach wiesen die Richter darauf hin, dass jeder Bürger gerichtlich überprüfen lassen könne, ob die Messstationen an einem zulässigen Standort im Sinne der EU-Richtlinie über Luftqualität und saubere Luft stehen. Stehen sie an einem ungeeigneten Ort, können nationale Gerichte die zuständigen örtlichen Behörden anweisen, diese umzustellen.

Es ist denkbar, dass es nun auch in deutschen Städten zu Klagen kommt. So kritisiert die Deutsche Umwelthilfe (DUH) aufgrund eigener Messungen, dass viele Mess-Stationen nicht an den am schlimmsten belasteten Punkten stünden und es somit möglicherweise  noch mehr Fahrverbote geben müsste. Länder und Städte könnten nun „nicht länger durch absurde Mittelwertbildungen die tatsächliche Belastung ihrer innerstädtischen Atemluft schön rechnen“ sagte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch im Deutschlandfunk. Er sehe auch gestiegene Chancen für Hardware-Nachrüstungen auf Kosten der Hersteller.

Verkehrsminister Scheuer unter Druck

Nach der Klatsche der CSU mit der gescheiterten Maut gerät Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer damit politisch weiter unter Druck. So empfindet beispielsweise Grünen-Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter das Urteil als eine klare Ansage an die Bundesregierung: „Union und SPD dürfen nicht länger versuchen, die Bestimmungen für saubere Luft aufzuweichen und damit die Menschen in den Städten zu gefährden“, sagte Hofreiter im Deutschlandfunk. Ingrid Remmers stellte gar die Besetzung des Verkehrsministerpostens im Frage. Die Taktik von Ressortchef Scheuer, Grenzwerte anzuzweifeln und Messgeräte hin- und herzuschieben, sei gescheitert so Remmers.[5]

Einzelnachweise:

[1] Spiegel Online:  „EuGH bestätigt strenge Messmethode für Luftschadstoffe”, in: spiegel.de vom 26. Juni 2019, Abruf am 28. Juni 2019

[2] ARD Tagessschau: „Jede Messstation zählt”, in: tagesschau.de vom 26. Juni 2019, Abruf am 28. Juni 2019

[3] ntv: „Luftschadstoff-Überschreitungen nie erlaubt”, in: n-tv.de vom 26. Juni 2019, Abruf am 28. Juni 2019

[4] Europäischer Gerichtshof: „Pressemitteilung Nr. 82/19  (Rechtssache C-723/17)”, in: curia.europa.eu vom 26. Juni 2019, Abruf am 28. Juni 2019

[5] Deutschlandfunk: „Was bedeutet das EuGH-Urteil zur Luftmessung?”, in: deutschlandfunk.de vom 27. Juni 2019, Abruf am 28. Juni 2019

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sgf

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