Arbeitsrecht

EU will Sammelklagen gegen Wirtschaft erlauben

Die Europäische Union möchte, dass gegen Unternehmen rechtlich und finanziell stärker vorgegangen werden kann. So plant die EU das für Unternehmen sehr gefährliche Sammelklagen-Recht europaweit zuzulassen nach dem Vorbild der USA. Man kennt das: Schlagzeilen aus den Vereinigten Staaten, wo Sammelklägern teils irrwitzig hohe Summen zugesprochen wurden:

Der Kölner Stadtanzeiger titelte beispielsweise bereits vor 17 Jahren, 2003: «Erfolgreiche Milliarden-Klagen in den USA».

So verurteilte im Juli 2000 ein Geschworenengericht in Miami im Rahmen einer Sammelklage fünf Tabakkonzerne zur Zahlung von insgesamt 145 Milliarden Dollar an erkrankte Raucher. Nach einem Berufungsverfahren waren immer noch 700 Millionen Dollar fällig. [1]

In dem Buch «Haftung am Sekundärmarkt für fehlinformationsbedingte Anlegerschäden» schreibt der Berliner Rechtsanwalt Richard Wichmann: [2]

«In den USA gibt es eine Fülle von Fallmaterial, darunter mindestens 29 Supreme Court Entscheidungen, die sich mit der Interpretation und Anwendung von Rule 10b-5 des Securities Exchange Act von 1934 (SEA), der zentralen Haftungsnorm für fehlerhafte Sekundärmarktpublizität befassen.»

Securities Exchange Act von 1934 sorgte in den USA für Milliarden-Strafzahlungen

Wobei, so Buchautor Wichmann, die Geltendmachung von Ansprüchen regelmäßig in Form von Anleger-Sammelklagen (Securities Class Actions) erfolgten.

  • So seien „zwischen 1996 und Januar 2017 insgesamt 4379 Sammelklagen alleine in den USA erhoben worden. Die meisten entfielen auf den Technologiesektor (118).
  • Darunter seien im Bereich Software & Programmierung 377 Sammelklagen erfolgt. Es folge die Biotechnologie & Pharmazie-Branche mit 334 Sammelklagen.

Im Anlegerbereich dieser Branchen sei es an der NYSE und der NASDAQ überwiegend um Wertpapiere gegangen. Alleine zwischen 1997 und 2013 hätten die 3200 Sammelklagen zu Vergleichszahlungen in Höhe von mehr als 73 Milliarden US-Dollar geführt. Den teuersten Vergleich aus Sammelklagen hätten die folgenden Unternehmen annehmen müssen:

  • Enron Corp: 7,2 Milliarden US-Dollar zwischen 2006 und 2008.
  • WorldCom Inc: 6,1 Milliarden zwischen 2005 und 2010.
  • Tycoon International Ltd: 3,2 Milliarden 2007 bis 2013.
  • Pendant Corp: 3,2 Milliarden zwischen 2000 und 2010.

Diese Beträge gehörten zu den 10 höchsten in der Geschichte der Sammelklagen in den USA, so Wichmann weiter. Sehr gut verdienten auch Anwälte von Sammelklägern. Sie hätten zwischen 1997 und 2013 über 14 Milliarden Dollar von den Klagenden nach erfolgreich abgeschlossen Sammelklagen eingenommen.

Schon heute gibt es allerdings auch in Europa in zahlreichen Ländern ein Recht auf Sammelklagen, die aber in der Regel mit wesentlich geringeren Schadenersatzzahlungen enden, als in den USA. So zum Beispiel in Österreich oder in der Schweiz.

Sammelklagen in der EU

Dass künftig in allen EU-Mitgliedsländern ein Sammelklagen-Recht eingeführt werden soll, darauf haben sich, teilte die Verbraucherzentrale Südtirol in Bozen (auf italienisch: Centro Tutela Consumatori Utenti) mit, das Europaparlament mit den EU-Mitgliedsstaaten am Montag geeinigt.

Das Klagerecht soll zwischen nationalen und grenzüberschreitenden Fällen unterschieden. Bei nationalen Fällen sollen die EU-Staaten nationale Regeln festlegen. Bei grenzüberschreitenden sollen andere Regeln gelten.

Am Ende solle das Recht gelten, «der Verlierer zahlt». Wobei bekannt ist, dass Sammelklagen meist sehr gute Chancen auf Erfolg an den Gerichten haben, zumal oft Verbraucherorganisationen involviert sind, die bei Gericht überdurchschnittlich häufig Richter von ihrer Sicht der Dinge überzeugen können.

Das sorgt in der Wirtschaft oft für Ärger, da Unternehmen sich nicht selten zu Unrecht verurteilt sehen und monieren, wonach sich Richter oft zu schnell auf die Seite von Verbraucherorganisationen ziehen ließen.

Von Luftfahrt bis Datenschutz

Sammelklagen in der ganzen EU sollen in den folgenden Bereichen möglich werden: Datenschutz, Finanzdienstleistungen, Reisen und Tourismus (also auch Luftfahrt, Flugticket-Verkauf), Energie, Telekommunikation, Umwelt, Gesundheit, Flugrechte, Bahnrecht bzw. Passagierrechte sowie das allgemeine Verbraucherrecht.

Das heißt: Faktisch sind alle Branchen betroffen. Noch müssen allerdings formal das EU-Parlament und der EU-Rat, die faktische EU-Regierung neben der EU-Kommission das Abkommen rechtlich freigeben, also durch Unterschrift ratifizieren. Ist das geschehen, bleiben nur noch 24 Monate, bis das Abkommen nationales Recht werden muss:

«Die ‘Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher’ ist Teil des ‘New Deal for Consumers’, der den VerbraucherInnen in der EU stärkeren Schutz bringen kann», schreibt das deutschsprachige südtiroler Portal dervinschger.it. [3]

Bereits heute gibt es in 19 EU-Ländern das Recht auf eine Sammelklage. Neben Österreich ist dies auch in Italien der Fall und zwar seit dem 19. April 2019 (Gesetz Nr. 31/2019).

In zahlreichen Ländern sieht sich aktuell noch der VW-Konzern Sammelklagen gegenüber, die in die Milliarden Euro Forderungen gehen. [4]

In Deutschland sind bislang Sammelklagen, also class action, nicht zulässig. Grund: Eine Gruppenbetroffenheit kennt die deutsche Rechtsprechung bislang weniger. Jeder Kläger muss sein Recht selber einklagen und einen möglichen Schaden nachweisen.

Einzelnachweise

[1] Erfolgreiche Milliarden-Klagen in den USA, in: Kölner Stadtanzeige Online vom 6.11.2003. Abgerufen am 27.6.2020.

[2] «Haftung am Sekundärmarkt für fehlinformationsbedingte Anlegerschäden», Buch von Richard Wichmann, S. 3, Verlag Mohr Siebeck

[3] EU will Verbraucherrechte stärken und neues Modell für Sammelklagen einführen, in: dervinschger.it vom 23.6.2020. Abgerufen am 27.6.2020.

[4] Abgasskandal VW, in: Wikipedia Deutschland, Österreich, Schweiz.

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CHLA

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