Verkehrsrecht

OLG Celle: Achtjähriges Kind haftet für Fahrradunfall mit Fußgängerin

Auch ein achtjähriges Kind kann haftbar gemacht werden, wenn bei einem von dem Kind verursachten Fahrradunfall eine Fußgängerin verletzt wird. Das entschied das Oberlandesgericht (OLG) Celle. Natürlich wird das Mädchen zur Schadensregulierung nicht sein Taschengeld aufbringen müssen. Stattdessen springt in diesem Fall die private Haftpflichtversicherung der Eltern dafür ein.[1]

Während des Sommerurlaubs mit ihren Eltern fuhr das Mädchen auf einer Uferpromenade mit dem Fahrrad.  Die Eltern gingen zum Unfallzeitpunkt in Ruf- und Sichtweite zu Fuß hinter dem Kind. Während das Mädchen vorwärts fuhr, schaute es über einen längeren Zeitraum nach hinten zu den Eltern und steuerte dabei auf eine Fußgängerin zu. Beim Versuch, dem drohenden Zusammenstoß mit dem Kind auszuweichen, stürzte und verletzte sich die Fußgängerin. Die Eltern hatten zuvor noch versucht, das Kind durch Zurufe zu warnen.

Eltern hatten Aufsichtspflicht nicht verletzt

Die verletzte Fußgängerin nahm das Kind und dessen Eltern vor dem Landgericht (LG) Hannover auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch. Das LG aber (Az. 16 O 9/17) wies die Klage der Fußgängerin ab. Auf deren Berufung hat der unter anderem für Verkehrssachen zuständige 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts nun die Entscheidung der Vorinstanz verworfen und das Kind zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt (Az. 14 U 69/19). Ein Anspruch gegenüber den Eltern des Kindes aber bestehe demgegenüber nicht. Denn diese hätten ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt, urteilte das Gericht.[2]

Die Entscheidung des Gerichtes hat nichts zu tun mit der weitläufig bekannten strafrechtlichen Einordnung, dass Kinder unter 14 Jahren allgemein als schuldunfähig einzustufen sind. Denn strafrechtliche Belange spielten im vorliegenden Fall keine Rolle. Hier ging es rein um Verkehrs- und Zivilrecht, also vorrangig um die Fragen der Haftung und des Schadensersatzes.

In seiner Entscheidung hat der Senat deshalb noch einmal die Voraussetzungen dafür dargelegt, unter denen Kinder für von ihnen verursachte Schäden haftbar gemacht werden können. Nach § 828 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sind nur Minderjährige unter sieben Jahren in keinem Fall verantwortlich für Schäden, die sie verursachen. Das würde selbst dann nicht gelten, wenn ein Kind, welches das siebente Lebensjahr noch nicht vollendet hat, etwaige Schäden vorsätzlich herbeigeführt hätte.[3]

Kind fuhr schon seit fünften Lebensjahr Fahrrad

Solange sie noch keine zehn Jahre alt sind, haften Kinder auch noch nicht für Schäden durch einen Unfall mit einem Kraftfahrzeug oder im Schienenverkehr. Im Alter von sieben bis 17 Jahren haften Minderjährige jedoch für Schäden, die sie einem anderen zufügen, wenn sie „bei der Begehung der schädigenden Handlung die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht“ besitzen.

Das war hier nach Ansicht der Richter offenbar der Fall. Denn das Kind nahm bereits seit knapp drei Jahren mit dem Fahrrad am Straßenverkehr teil. Einem altersgerecht entwickelten achtjährigen Kind, das bereits seit seinem fünften Lebensjahr regelmäßig und auch im Straßenverkehr Fahrrad fährt, müsse folglich bewusst sein, dass es während der Fahrt nach vorne schauen und nicht über einen längeren Zeitraum nach hinten blicken dürfe, befanden die Richter nach der Anhörung des Kindes. Die achtjährige hätte die Gefährlichkeit ihres Handelns in der konkreten Situation erkennen und sich dieser Erkenntnis gemäß verhalten müssen.

Einzelnachweise:

[1] Süddeutsche Zeitung: „Urteil: Achtjähriges Kind haftet bei Fahrradunfall“, in: sueddeutsche.de vom 20. Februar 2020, Abruf am 20. Februar 2020.

[2] Oberlandesgericht Celle: „Verantwortlichkeit von Kindern für Schäden im Straßenverkehr“, in: oberlandesgericht-celle.niedersachsen.de vom 20. Februar 2020, Abruf am 20. Februar 2020.

[3] Bundesamt der Justiz: „Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 828 Minderjährige“, in: gesetze-im-internet.de, Gesetz in der Fassung vom 6.  April 2004, Abruf am 20. Februar 2020.

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Wilfried Müller

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