Behandlungsfehler

Karlsruhe erlaubt geschäftmäßige Hilfe zum Suizid

Gehört zum selbstbestimmten Leben in Deutschland nicht auch das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben? Das Bundesverfassungsgericht musste darüber entscheiden und sagte Ja! Unter strengen Voraussetzungen soll geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung künftig erlaubt sein. Es gebe ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, erklärte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, bei der Urteilsverkündung. Das schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und dabei Angebote von Dritten in Anspruch zu nehmen.[1]

Der Suizid an sich ist in Deutschland nicht strafbar. Der 2015 eingeführte § 217 des Strafgesetzbuches (StGB) aber stellte bislang die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe. Dies setzte nicht unbedingt ein kommerzielles Interesse voraus, sondern umfasste auch wiederholte Hilfen. Bei Verstößen drohten Ärzten oder Sterbehelfern von Suizidhilfe-Vereinen bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe. Lediglich Angehörige und „Nahestehende“, die einem Sterbewilligen beim Suizid unterstützten, blieben auch bislang schon straffrei.

Bislang waren nur Einzelfälle straffrei

Mit dem umstrittenen Sterbehilfe-Paragraphen wollte der Gesetzgeber verhindern, dass Suizidhilfe-Vereine ihre Angebote für zahlende Mitglieder ausweiten und gesellschaftsfähig werden. Ohne derartige Angebote der Suizidhilfe war der Einzelne jedoch maßgeblich auf die individuelle Bereitschaft eines Arztes angewiesen, an einer Selbsttötung mitzuwirken. Davon konnte man aber bislang nur im Ausnahmefall ausgehen.

Im Juli vergangenen Jahres hatte der Bundesgerichtshof so zum Beispiel zwei Ärzte freigesprochen, die kranke Menschen beim Sterben begleitet hatten und ihnen Zugang zu den todbringenden Medikamenten gewährt (wir berichteten). Die Verstorbenen hatten die todbringenden Medikamente selbst eingenommen. Weil die Ärzte dann aber nicht versuchten, sie zu retten, mussten sie sich wegen der Unterstützung der Selbsttötungen vor Gericht verantworteten.[2]

§ 217 komme einem faktischen Verbot gleich

Hätten sie das Gleiche wiederholt getan, wären sie nach geltender Rechtslage verurteilt worden. Straffrei blieben bisher nur Einzelfälle. Schon bei einem einfachen beratenden Gespräch eines sterbewilligen Patienten mit seinem behandelnden Arzt oder Palliativmediziner liefen diese nach dem bisher geltenden Strafrechtsparagraph Gefahr, sich strafbar zu machen.

Die Richterinnen und Richter des zweiten Senats stellten deshalb klar: Das komme einem faktischen Verbot gleich. Denn wenn es keine realistischen Möglichkeiten gebe, sich das Leben zu nehmen, so werde den Sterbewilligen das Recht auf ein „selbstbestimmtes Sterben“ letztlich doch genommen.

Persönlichkeitsrecht schließt Hilfe Dritter ein

Das Gericht begründete seine Entscheidung mit dem allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz). Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) verletze das allgemeine Persönlichkeitsrecht  von zur Selbsttötung entschlossenen Menschen in seiner Ausprägung als Recht auf selbstbestimmtes Sterben und schließe dabei die Freiheit mit ein, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen. Das gelte auch dann, wenn die Regelung in enger Auslegung ausschließlich die von Wiederholungsabsicht getragene Förderung einer Selbsttötung als Akt eigenhändiger Beendigung des eigenen Lebens erfasst.

Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben sei nicht auf fremddefinierte Situationen wie schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt, führten die Richter aus. Es bestehe in jeder Phase menschlicher Existenz. Eine Einengung des Schutzbereichs auf bestimmte Ursachen und Motive liefe auf eine Bewertung der Beweggründe des zur Selbsttötung Entschlossenen und auf eine inhaltliche Vorbestimmung hinaus, die dem Freiheitsgedanken des Grundgesetzes fremd sei. Eine Bewertung dieser Entscheidung anhand allgemeiner Wertvorstellungen, religiöser Gebote, gesellschaftlicher Leitbilder oder Überlegungen objektiver Vernünftigkeit verbiete sich.

Gesetzgeber darf aber die Suizidhilfe regulieren

Aus Sicht der Richter stehe die Bewertung im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte formulierten konventionsrechtlichen Wertungen. Aus der Karlsruher Entscheidung folgt jedoch nicht, dass der Gesetzgeber die Suizidhilfe nicht regulieren dürfe.

Eine solche Regelung müsse sich aber an der Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen ausrichten, das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten. Zum Schutz der Selbstbestimmung über das eigene Leben steht dem Gesetzgeber in Bezug auf organisierte Suizidhilfe ein breites Spektrum an Möglichkeiten offen. Diese können auch im Strafrecht verankert oder jedenfalls durch strafrechtliche Sanktionierung von Verstößen abgesichert werden.

Christliche Kirchen reagieren tief besorgt

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts stieß erwartungsgemäß bei Vertretern der beiden großen christlichen Kirchen auf tiefe Besorgnis. „Wir befürchten, dass die Zulassung organisierter Angebote der Selbsttötung alte oder kranke Menschen auf subtile Weise unter Druck setzen kann, von derartigen Angeboten Gebrauch zu machen”, teilten der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, in einer gemeinsamen Erklärung mit.

Marx und Bedford-Strom sprachen von einem Kulturbruch: „Dieses Urteil stellt einen Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur dar“. Die Kirchen würden weiterhin dafür kämpfen, „dass organisierte Angebote der Selbsttötung in unserem Land nicht zur akzeptierten Normalität werden”.[3]

Gegen das Verbot der Sterbehilfe, explizit gegen den Paragraph 217 StGB, hatten schwerkranke Menschen, Ärzte und Sterbehilfevereine beim Bundesverfassungsgericht geklagt. Einige Kläger aber konnten das Urteil nicht mehr miterleben. Sie sind während der langen Verfahrensdauer verstorben.

Einzelnachweise:

[1] Bundesverfassungsgericht: „Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verfassungswidrig“, in: bundesverfassungsgericht.de vom 26. Februar 2020, vgl. dazu auch: „Leitsätze zum Urteil des Zweiten Senats .2 BvR 2347/15, 2 BvR 651/16, 2 BvR 1261/16, 2 BvR 1593/16, 2 BvR 2354/16, 2 BvR 2527/16“, Abruf am 26. Februar 2020.

[2] Anwalt Innovativ: „Sterbehilfe: Freispruch für zwei Ärzte“, in: anwalt-innovativ.de vom 3. Juli 2019, Abruf am 26. Februar 2020.

[3] Agence France-Presse AFP: „Christliche Kirchen reagieren tief besorgt auf Urteil zu Sterbehilfe“, in: afp.com vom 26. Februar 2020, Abruf am 26. Februar 2020.

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Wilfried Müller

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