Hartz-IV-Kürzung teilweise verfassungswidrig

Von Hartz-IV leben zu müssen ist nicht gerade rosig aber es ist machbar. Wenn jedoch die Leistungen eingeschränkt werden, wenn man beispielsweise einen Termin beim Jobcenter versäumt hat oder weil man ein zumutbares Jobangebot ausgeschlagen hat, dann wird es für Betroffene bitter. Das hat auch das Sozialgericht im thüringischen Gotha erkannt. Die Richter dort hatten eines ihrer Verfahren ausgesetzt, um die Vorschriften vom Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen.

Das Bundesverfassungsgericht hat nun die Sanktionsmöglichkeiten gegen Hartz-IV-Empfänger erheblich eingeschränkt. Das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe erklärte am Dienstag die bei Pflichtverletzungen drohenden Leistungskürzungen teilweise für verfassungswidrig. Grundsätzlich seien Sanktionen zwar möglich, befanden die Karlsruher Richter. Aber Leistungskürzungen von mehr als 30 Prozent seien nach Ansicht des Gerichtes nicht mehr verhältnismäßig (Az. 1 BvL 7/16).[1]

Maximale Kürzung um 30 Prozent

Die bisherige Regelung sieht drei Sanktionsstufen vor. Bei versäumten Terminen droht eine Kürzung der Bezüge um zehn Prozent. Das ist die bei weitem am häufigsten angewandte Sanktion und mit ihr befasste sich das Gericht nicht. Wenn ein Hartz-IV-Empfänger jedoch eine als zumutbar eingestufte Arbeit ablehnt, wird der Regelsatz um 30 Prozent gekürzt, im Wiederholungsfall sogar um 60 Prozent. Die Kürzungen gelten jeweils für drei Monate. Bei jeder weiteren Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres entfällt das Arbeitslosengeld II dann komplett.[2]

Das sei so mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, empfanden die Richter. Nach dem derzeitigen System sei es lediglich für möglich, die Leistungen um maximal 30 Prozent zu kürzen. Allerdings auch in dieser Sanktionsstufe sei es unvereinbar mit dem Grundgesetz, dass die Leistung selbst bei Härtefällen zwingend verringert werden müsse. Ebenso sei auch die starre Dauer von drei Monaten bei jeder Kürzung  nicht haltbar. Eine Kürzung um 60 Prozent oder gar ein vollständiger Entzug des Arbeitslosengelds II sind dem Urteil zufolge gar nicht mit dem Grundgesetz konform.

Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums

Die Richter des ersten Senats des Bundesverfassungsgerichtes hatten über einen konkreten Fall zu entscheiden, den das Sozialgericht Gotha ausgesetzt hatte. Ein Arbeitsloser mit 240 Euro weniger im Monat auskommen, weil er beim Jobcenter Erfurt ein Stellenangebot abgelehnt hatte .

Der Mann hatte einen Job als Lagerarbeiter abgelehnt, weil er im Verkauf arbeiten wollte. Auch einen Aktivierungsgutschein für eine Probearbeit hatte er verfallen lassen. Das Jobcenter minderte daraufhin den Regelbedarf um 60 Prozent. Nachdem sein Widerspruch dagegen erfolglos blieb, hatte der Mann daraufhin vor dem Sozialgericht geklagt.

Schutzauftrag des Staates

Die wesentliche Erwägungen des Senats für die Ausgestaltung der Grundsicherungsleistungen ergeben sich aus der grundrechtlichen Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes. Die eigenständige Existenzsicherung des Menschen sei nicht Bedingung dafür, dass ihm Menschenwürde zukommt; die Voraussetzungen für ein eigenverantwortliches Leben zu schaffen, sei vielmehr Teil des Schutzauftrags des Staates.

Dabei überschreite aber der starr andauernde Leistungsentzug von drei Monaten die Grenzen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums. Da der Gesetzgeber an die Eigenverantwortung der Betroffenen anknüpfen müsse, wenn er existenzsichernde Leistungen suspendiere, weil zumutbare Mitwirkung verweigert wird, sei dies nur zumutbar, wenn eine solche Sanktion grundsätzlich endet, sobald die Mitwirkung erfolgt. Denn die Bedürftigen müssten selbst die Voraussetzungen dafür schaffen können, die Leistung tatsächlich wieder zu erhalten.[3]

Sanktionen vorerst teils weiter anwendbar

Keine Aussage trafen die Richter über die Sanktionen für junge Hartz-IV-Empfänger. Denn für unter 25-Jährige sind die Sanktionen härter. Ihnen kann das Jobcenter bereits beim ersten größeren Verstoß die Bezüge komplett streichen. Diese Sanktionen sind umstritten, sie waren aber nicht Gegenstand des Verfahrens.

Der Gesetzgeber muss das Sanktionssystem nun neu regeln. Das Gericht erklärte allerdings die Vorschriften mit entsprechenden Maßgaben (Berücksichtigung von Härtefällen,  Wegfall der starren Dreimonatsfrist) bis zu einer Neuregelung für vorerst weiter anwendbar.

Einzelnachweise:

[1] Bundesverfassungsgericht: „Leitsätze zum Urteil des Ersten Senats – 1 BvL 7/16“, in: bundesverfassungsgericht.de, vom 5. November 2019 Abruf am 5. November 2019

[2] Tagesspiegel: „Leistungskürzungen sind teilweise verfassungswidrig“, in: tagesspiegel.de vom 5. November 2019 Abruf am 5. November 2019

[3] Bundesverfassungsgericht: „Pressemitteilung Nr. 74/2019“, in: bundesverfassungsgericht.de, vom 5. November 2019 Abruf am 5. November 2019

 

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Werner Schmid

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