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Sterbehilfe: Freispruch für zwei Ärzte

Wer schwer krank ist, unter großen Schmerzen leidet und keine Chance mehr auf eine Gesundung hat, für den ist der Wunsch zu sterben oft der einzig verbleibende Lebensinhalt. Doch nach deutschem Recht ist es keinem Menschen erlaubt an einem Freitod aktiv mitzuwirken. Nun aber hat der Bundesgerichtshof (BGH) zwei Ärzte freigesprochen, die kranke Menschen beim Sterben begleitet hatten.[1]

Das Urteil ist dennoch kein Freibrief für eine künftige Straffreiheit bei einer begleitenden Sterbehilfe. Denn im Jahr 2015 hat der Gesetzgeber den Paragraph 217 in das Strafgesetzbuch (StGB) eingebracht, der die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung” unter Strafe stellt. Um dem Textbegriff nach „geschäftsmäßig” zu handeln, reicht es nach dem Gesetz bereits, wenn man „wiederholt” Anderen bei der Selbsttötung hilft.

Freispruch bereits in Vorinstanzen

Im aktuellen Fall hatten die insgesamt drei Verstorbenen die todbringenden Medikamente selbst eingenommen. Weil die Ärzte dann aber nicht versuchten, sie zu retten, standen sie wegen der Unterstützung der Selbsttötungen vor Gericht. Die Vorinstanzen, das Landgericht Hamburg (Urteil vom 8. November 2017) und das Landgericht Berlin (Urteil vom 8. März 2018), hatten sie bereits freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte jedoch Revision eingelegt.

Laut Landgerichts Hamburg litten die beiden miteinander befreundeten, 85 und 81 Jahre alten suizidwilligen Frauen an mehreren Krankheiten, die allein nicht lebensbedrohlich waren, aber ihre Lebensqualität und persönlichen Handlungsmöglichkeiten zunehmend einschränkten. Sie wandten sich daraufhin an einen Sterbehilfeverein. Schließlich erstellte ein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, der „an der Festigkeit und Wohlerwogenheit der Suizid-Wünsche“ keine Zweifel hatte, ein Gutachten. Auf Verlangen der beiden Frauen wohnte der Angeklagte ihrer Einnahme der tödlich wirkenden Medikamente bei und unterließ es auf ihren ausdrücklichen Wunsch nach Eintritt ihrer Bewusstlosigkeit Rettungsmaßnahmen einzuleiten.

Im Berliner Fall hatte der angeklagte Hausarzt einer Patientin Zugang zu einem Medikament verschafft, nach dessen Einnahme sie verstarb. Die 44jährige Frau litt seit ihrem sechzehnten Lebensjahr an einer chronischen aber nicht lebensbedrohlichen Krankheit, musste aber starke, krampfartige Schmerzen erleiden. Sie hatte daher den angeklagten Mediziner um Hilfe beim Sterben gebeten.  Nachdem sie die Medikamente eingenommen hatte, betreute der Angeklagte die Bewusstlose bis zu ihrem Tod und leistete keine lebenserhaltenden Maßnahmen ein.

Rechtslage ist paradox

Dem Urteil zufolge waren beide Angeklagte nach Eintritt der Bewusstlosigkeit nicht zur Rettung der Leben verpflichtet. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Ärzte für ihre im Vorfeld geleisteten Beiträge zu den Suiziden hätte laut BGH vorausgesetzt, dass die Frauen nicht in der Lage gewesen wären, einen freiverantwortlichen Selbsttötungswillen zu bilden. In beiden Fällen hätten „die Landgerichte rechtsfehlerfrei keine die Eigenveranwortlichkeit der Suizidentinnen einschränkenden Umstände festgestellt“, schrieben die Richter. Deren Sterbewünsche beruhten vielmehr auf einer im Laufe der Zeit entwickelten, bilanzierenden „Lebensmüdigkeit” und waren nicht das Ergebnis psychischer Störungen.

Sich selbst das Leben zu nehmen, ist in Deutschland nicht strafbar. Auch wenn der Suizid nicht gelingen sollte, muss man sich dafür nicht vor Gericht verantworten. Dennoch ist die gegenwärtige Rechtslage unbefriedigend, ja teils auch irgendwie paradox : Beim Sterben zu helfen ist erlaubt, aber dann die Menschen auch sterben zu  lassen, das ist verboten! Bislang müssen Sterbehelfer nach der Gabe der todbringenden Medikamente den Raum verlassen. Sie können folglich dem oder der Sterbenden in der schweren Stunde des Abschieds nicht mehr die Hand halten.[2]

Sterbehilfe beschäftigt auch Bundesverfassungsgericht

Das Thema Sterbehilfe beschäftigt derzeit auch das Bundesverfassungsgericht. Gegen das Verbot der Sterbehilfe, explizit gegen den Paragraph 217 StGB, haben schwerkranke Menschen, Ärzte und Sterbehilfevereine beim Bundesverfassungsgericht geklagt. Eine Entscheidung in Karlsruhe wird im Herbst erwartet.

In Europa haben übrigens die Niederlande, Belgien, Luxemburg und die Schweiz Sterbehilfe in unterschiedlichem Ausmaß legal ermöglicht. In anderen Ländern – insbesondere in den katholisch geprägten Ländern Spanien, Frankreich und Italien –   wird eine gesetzliche Regelung zur Sterbehilfe kontrovers diskutiert.[3]

Einzelnachweise:

[1] Bundesgerichtshof (BGH): „Pressemitteilung Nr. 90/2019, Urteile vom 3. Juli 2019 – 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18“, in: juris.bundesgerichtshof.de vom 3. Juli 2019, Abruf am 3. Juli 2019

[2] ARD-Tagesschau: „Sterben lassen ist nicht strafbar”, in: tagesschau.de vom 3. Juli 2019, Abruf am 3. Juli 2019

[3] Wikipedia: „Sterbehilfe“, in: de.wikipedia.org, Abruf am 3. Juli 2019

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sgf

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