Arbeitsrecht

Bundesweites Personalnetz: Massenentlassungsanzeige ist bei direkt betroffener Agentur für Arbeit zu erstatten

BAG: Welche Arbeitsagentur ist für Massenentlassungsanzeigen zuständig?

Massenentlassungen gehören im Zuge der Corona-Welle zu den Themen, mit denen sich die deutschen Arbeitsgerichte noch häufig befassen werden. Das Bundesarbeitsgericht entschied im Februar über eine in diesem Zusammenhang interessante Formalität: An welche Arbeitsagentur ist eine Massenentlassungsanzeige zu richten?

Zum Sachverhalt:

Die Fluggesellschaft Air Berlin mit Sitz in Berlin unterhielt an verschiedenen deutschen Flughäfen sogenannte Stationen und beschäftigte dort Cockpit-, Kabinen-, und Bodenpersonal. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kündigte das Unternehmen seinem Cockpit-Personal im gesamten Bundesgebiet wegen der Stilllegung des Flugbetriebes. Die Massenentlassungsanzeige erstattete Air Berlin für die Beschäftigten an allen Standorten nur bei der Arbeitsagentur Berlin, die örtlich zuständig für den Berliner Firmensitz war.
Der Kläger war als Pilot dem Standort Köln zugeordnet. Er bezweifelte die soziale Rechtfertigung der Kündigung und erhob Kündigungsschutzklage. In erster und zweiter Instanz hatte er keinen Erfolg, im Revisionsverfahren gab der achte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) seiner Klage statt (Urteil vom 27.02.2019, Az.: 8 AZR 215/19).

Was ist ein “Betrieb” i. S. d. Kündigungsschutzgesetzes?

Der Senat betrachtete die Kündigung schon deshalb als nichtig, weil es die Massenentlassungsanzeige als formal fehlerhaft ansah. Deshalb setzte er sich mit inhaltlichen Fragen zur Rechtmäßigkeit der Kündigung nicht mehr auseinander. Die Voraussetzungen einer Massenentlassungsanzeige richten sich nach § 17 Kündigungsschutzgesetz. Danach muss der Arbeitgeber vor der Entlassung einer bestimmten Anzahl von Mitarbeitern eines Betriebes die Anzeige bei der Bundesagentur für Arbeit erstatten. Während Air Berlin die Auffassung vertrat, der Betrieb liege am Sitz in Berlin, weil er von dort zentral gesteuert werde, sah der Senat die einzelnen Stationen als Betriebe an. Denn ein Betrieb sei eine auf gewisse Dauerhaftigkeit und Stabilität ausgerichtete Einheit mit der Zielbestimmung, bestimmte Aufgaben zu erledigen. Dafür seien genügend Arbeitnehmer und technische Mittel innerhalb einer gewissen organisatorischen Struktur nötig. Alle diese Voraussetzungen erfüllten die einzelnen Stationen nach Ansicht des BAG.

Massenentlassungsanzeige war nicht nur fehlerhaft, sondern auch unvollständig

Demnach hätte Air Berlin die den Kläger betreffende Massenentlassungsanzeige bei der Arbeitsagentur in Köln, die örtlich für die Station Köln zuständig war, einreichen müssen. Denn grundsätzlich solle die Anzeige bei der Agentur erfolgen, in deren Sitz die Auswirkungen der Kündigung zu spüren sein werden. Weiterhin stellte das BAG fest, dass die Anzeige unvollständig war, weil sie nur das Cockpit-Personal umfasste. Sie hätte zudem auch Angaben über die übrigen am Standort Köln beschäftigten Mitarbeiter des Kabinen- und Bodenpersonals enthalten müssen. Daher kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung aufgelöst worden war.

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CHLA

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