Neben der Gastronomie gehört die Reise- und Tourismusbranche zu den großen Verlierern der Corona-Krise. Der Umsatzausfall bei den deutschen Reiseveranstaltern und Reisebüros summiert sich nach Hochrechnungen des Deutschen Reiseverbandes (DRV) alleine von Mitte März bis Ende April auf mehr als 4,8 Milliarden Euro. Und der Finanzbedarf wird weiter steigen, wenn die Krise weiter andauert.
Reisebüros leben von den Provisionen der von ihnen vermittelten Reisen. Nachdem der Tourismus komplett zum Erliegen gekommen ist, brechen den Veranstaltern und Reisebüros nicht nur die aktuellen Umsätze weg. Reisebüros müssen die bereits erhaltenen Provisionen für stornierte Reisen zurückzahlen. Das stellt manches kleines Reisebüro vor ein großes Problem. Denn die Provisionen sind längst für Mieten, Personal- und Betriebskosten verplant. Und viele der kleinen selbständigen Unternehmen haben ihre Rücklagen bereits mit der Thomas-Cook-Pleite aufgebraucht. Sie stehen quasi vor dem Nichts!
Reisebranche setzt auf Gutscheinlösung
Nach Angaben des Deutschen Reiseverbandes DRV haben über 70 Prozent der Unternehmen schon einen Antrag auf Kurzarbeitergeld gestellt. Immerhin 44 Prozent der vom Verband befragten Unternehmer hoffen auf Steuervergünstigungen. Lediglich ein Fünftel hat Überbrückungskredite beantragt. „90 Prozent der Unternehmen – Reisebüros wie Reiseveranstalter – haben bisher noch kein Geld gesehen“, so DRV-Präsident Norbert Fiebig. „Und das in dem Wissen, dass sie ohne schnelle und unbürokratische Liquiditätshilfen bald am Ende sind.“ An der aktuellen Umfrage des Verbandes haben vom 24. bis 26. März fast 700 Unternehmen teilgenommen.[1]
In einem Schreiben an die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, fordern Reise- und Luftverkehrswirtschaft in Deutschland eindringlich die vorübergehende Aussetzung der Rückzahlungspflicht aus der Pauschalreiserichtlinie und der Fluggastrechte-Verordnung. Denn mit der zunehmenden Ausbreitung der Corona-Pandemie sind Tourismus und Luftverkehr fast vollständig zum Erliegen gekommen.
Den erheblichen Fixkosten der Unternehmen stehen praktisch keine Einnahmen mehr gegenüber, heißt es in dem Schreiben. „Wenn Unternehmen in dieser prekären Situation gezwungen sind, ihren Kunden die für Reisen, die nicht mehr angetreten werden konnten, gezahlten Reisepreise innerhalb von 14 Tagen zurückzuzahlen, werden sie in die Knie gehen“, fürchtet Verbandspräsident Norbert Fiebig.
Verschieben statt canceln
Getragen wird der Appell an die EU-Kommissionspräsidentin neben dem DRV von den Wirtschaftsverbänden BDL (Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft) und BTW (Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft). Der Deutsche Reiseverband (DRV) und der Deutsche Tourismusverband (DTV) haben deshalb unter dem Hashtag #verschiebdeinereise eine gemeinsame Kampagne ins Leben gerufen, die Reisende dazu aufruft, ihre schon gebuchten Reisen nicht zu stornieren, sondern aufzuschieben.
„Wir stecken mitten in einer der größten Krisen, die der Deutschlandtourismus jemals zu bewältigen hatte. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, Insolvenzen und Kündigungen von Beschäftigten zu vermeiden. Wenn Gäste und Gastgeber solidarisch sind, wenn jetzt alle mithelfen, können wir die Krise meistern – und sicherstellen, dass das Reiseland Deutschland in seiner großen Vielfalt an Angeboten attraktiv bleibt“, sagt DTV-Geschäftsführer Norbert Kunz.[2]
Reiseunternehmen brauchen Liquiditätssicherung
Die Idee hinter der Solidaritätsaktion #verschiebdeinereise: Wenn Reisen in Absprache mit dem Reisebüro, Reiseveranstalter oder Gastgeber nicht gecancelt, sondern auf einen späteren Termin verlegt werden, bleibt die jetzt dringend benötigte Liquidität in den Unternehmen. Gemeinsam schlägt die Branche eine Gutscheinlösung vor. Anstatt den Kunden ihre Anzahlungen für stornierte Reisen zurück zu zahlen, sollen die Kunden Gutscheine erhalten, um ihre Reise zu einem späteren Zeitpunkt nach der Krise anzutreten. Dies könne zur Liquiditätssicherung für Reiseveranstalter, Reisevertrieb und Fluggesellschaften beitragen.
Rechtlich ist das problematisch. Denn geht ein Unternehmen trotz Staatshilfen, Kredite und andere Maßnahmen pleite, bleiben die Kunden auf wertlosen Gutsheinen sitzen. Und mit Unternehmenspleiten muss man in der Reisbranche rechnen. Das weiß freilich auch der Verband und fordert daher, dass die Gutscheine vom Staat abgesichert werden müssten, um deren Werthaltigkeit zu garantieren und das Vertrauen der Kunden so zu gewährleisten.
Europaweite Lösung gesucht
In einigen EU-Staaten, wie etwa in Italien, Belgien und den Niederlanden, seien bereits entsprechende Vorbereitungen für die Anpassung des Reiserechts für die Dauer der Krise bereits vorgenommen worden. Jetzt müssten die Regelungen EU-weit vereinheitlicht und vorübergehend ausgesetzt werden, fordert Fiebig.
Doch die Politik ist träge. Selbst wenn sich die EU-Staaten tatsächlich ernsthaft Gedanken darüber machen sollten, die bisher geltenden Regelungen vorläufig außer Kraft zu setzen: Bis es soweit ist, dass solche Lösungen greifen, wird manches Reisebüro, manch kleiner Reiseveranstalter bereits Insolvenz anmelden müssen. Anwälte warnen deshalb davor, sich freiwillig auf etwaige Reisegutscheine vertrösten zu lassen und empfehlen Kunden, sich Ihre Anzahlungen nach der Stornierung ihrer Reise umgehend erstatten zu lassen.
Einzelnachweise:
[1] Deutscher Reiseverband (DRV): „90 Prozent der Unternehmen haben noch kein Geld gesehen!“, in: drv.de vom 27. März 2020, Abruf am 30. März 2020.
[2] Deutscher Tourismusverband: „Wer Reisen liebt, verschiebt“, in: dtv.de vom 24. März 2020, Abruf am 30. März 2020.