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„Als ob ich eine Rasierklinge in der Vagina hätte“

Für rund 1350 Frauen wird das Urteil des Federal CourtAustraliens  gewiss es eine Genugtuung darstellen: Das oberste Bundesgericht in Sydney (Australien) verurteilte den US-Pharmakonzern Johnson & Johnson wegen fehlerhafter Scheidenimplantate. Die Frauen litten nach dem Einsetzen der Vaginalnetze des US-Unternehmens zum Teil unter erheblichen chronischen Schmerzen. Sie hatten daher vor Australiens Federal Court, eine Sammelklage gegen den Konzern eingereicht.[1]

Etwa die Hälfte aller Frauen, die bereits einmal Kinder zur Welt gebracht haben, leiden unter einer Beckenboden- oder Gebärmuttersenkung. Ursache sind die erschlaffenden Muskeln des Beckenbodens. Abhilfe bringt meist schon ein Beckenbodentrainig. Mit Scheidenpessaren oder auch Liebeskugeln kann die Beckenbodenmuskulatur ebenfalls trainiert werden. In sehr schweren Fällen kamen in der Vergangenheit immer wieder auch Scheidenimplantate, wie die medizinisch umstrittenen Vaginalnetze („Vaginal-Mesh”) zum Einsatz.[2]

Umstrittene Netze waren zehn Jahre im Handel

Bei Vaginalnetzen handelt es sich um eine Art synthetisches Netz, das die Beckenbodenmuskulatur unterstützen soll. Die Vaginalnetze waren in Australien mehr als zehn Jahre lang – noch bis ins Jahr 2017 – im Handel,. Sie sollten überdehntes oder gerissenes Gewebe unterstützen und Frauen helfen, die nach Geburten an schwacher Beckenbodenmuskulatur oder unkontrolliertem Urinverlust litten.

Der operative Eingriff dauert etwa ein bis anderthalb Stunden. Dabei werden die Netze mit einer Operation im Becken fixiert. Durch das Implantat, wenn es denn richtig sitzt, werden die inneren Organe wieder an ihre Position gebracht und auch dort gehalten. Seine chemische Zusammensetzung soll darüber hinaus die Bildung von Bindegewebe um das Netz herum fördern. Auch soll das Netz ein neuerliches Absinken des Beckenbodens verhindern.

Heftige Schmerzen beim Sex

Wird jedoch die Muskulatur zu schwach, kann das Netz nach unten durchhängen. Die Folge: Ungewollter Urinverlust, Druckgefühl im Unterbauch, der Eindruck, dass ein Fremdkörper in der Scheide liegt, Kreuz- und Rückenschmerzen, eine erweiterte Vagina oder auch heftige Schmerzen beim Sex!

Inzwischen ist es bekannt, dass derartige Scheidenimplantate durchaus mit Risiken verbunden sind. Vaginalnetze stehen bei Ärzten daher weltweit in der Kritik. In Deutschland dürfen diese Operationen deshalb auch nur von zertifizierten Ärzten durchgeführt werden- Und das auch nur in Härtefällen, etwa wenn eine Beckenbodensenkung auch nach mehreren Operationen wiederholt auftritt!

Gewebeschäden, Entzündungen und Inkontinenz

Viele Frauen litten nach dem Einsetzen der Vaginalnetze von Johnson & Johnson an Gewebeschäden, Entzündungen und Inkontinenz. Und sie konnten keinen schmerzfreien Sex mehr haben. Eine der betroffenen Frauen sagte in dem Verfahren, die Schmerzen seien so heftig, „als ob ich eine Rasierklinge in der Vagina hätte“. Vereint zogen die Australierinnen deshalb vor Gericht.

Das oberste Bundesgericht in Sydney gab den Frauen nun Recht. Richterin Anna Katzmann sagte in der Verhandlung, bei der Entwicklung der sogenannten Vaginalnetze  sei fahrlässig gehandelt worden, Dies habe die Gesundheit der Frauen gestört. Dabei habe der Konzern die Risiken gekannt. Denn die Netze seien nie richtig getestet worden. Es habe nie genügend Daten gegeben, dass diese Implantate sicher seien.

Warnungen heruntergespielt

Dem US-Konzern warf der Federal Court vor, nach dem Motto „zuerst verkaufen, danach testen“ gehandelt zu haben. Außerdem sei eine „Flutwelle“ aggressiver Werbung bei Ärzten und Ärztinnen lanciert worden. Die Netze waren als kostengünstig angepriesen worden. Sie seien einfach einzusetzen und wurden als eine relativ risikofreie Möglichkeit zur Gewinnsteigerung vermarktet. Dabei seien deren mögliche Gefahren heruntergespielt worden, so der Vorwurf.

Interne Dokumente hätten gezeigt, dass der US-Konzern früher schon versucht hatte, eine Warnung für die Vaginalnetze durch die französische Gesundheitsbehörde zu stoppen. Laut der Sitzungsprotokolle  befürchtete der US-Konzern offenbar, dass die französische Warnung einen „erheblichen Einfluss auf das Geschäft“ haben werde.[3]

Die Vaginalnetze waren von dem Pharmaunternehmen Ethicon entwickelt worden, das zu Johnson & Johnson gehört. Das Unternehmen wird nun eine Stange Geld beiseite legen müssen. Denn auf den amerikanischen Pharmakonzern kommt nun nicht nur eine stattliche Geldstrafe zu, deren Höhe im kommenden Februar festgelegt werden soll. Johnson & Johnson wird den Betroffenen wohl auch eine erhebliche Summe an Schadensersatz und Schmerzensgeld auszahlen müssen.

Einzelnachweise:

[1] Berliner Morgenpost: „Vaginal-Netze: Frauen gewinnen Prozess gegen US-Konzern“, in_ morgenpost.de vom 21. November 2019, Abruf am 25. November 2019.

[2] RTL Interactive GmbH: „Umstrittene Scheidenimplantate – was bringt das Vaginal-Netz wirklich?”, in: rtl.de vom 21. November 2019, Abruf am 25. November 2019.

[3] Österreichischer Rundfunk (ORF): „Frauen gewinnen Klage gegen US-Konzern”, in: orf.at vom 21. November 2019, Abruf am 25. November 2019.

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Werner Schmid

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