Leben retten in der Grauzone

Notfallsanitäter sind meist die ersten Helfer am Unfallort. Doch wenn sie das machen, was sie in ihrer Ausbildung gelernt haben und dem Patienten medizinisch helfen, laufen sie Gefahr, sich strafbar zu machen. Helfen sie hingegen einem Patienten nicht und dieser stirbt daraufhin, dann machen sich die Sanitäter eventuell der unterlassenen Hilfeleistung schuldig. Rechtlich bewegt sich der Sanitäter damit in einem Zwiespalt zwischen Pflicht und Verbot!

Oftmals ist ein Notarzt nicht schnell genug erreichbar. Wenn aber beispielsweise bei einer Unterzuckerung umgehend eine Glukose-Spritze gesetzt oder einem Patienten  ein Luftröhrenschnitt vorgenommen werden muss, dann ist der Sanitäter formal dazu nicht berechtigt. Denn aufgrund des derzeit  geltenden Heilkundevorbehaltes dürfen das nur Ärzte.[1]

„Rechtfertigender Notstand“ als Hintertür

Dennoch helfen die Notfallsanitäter in solchen Situationen meistens. Sie können sich dann auf den „rechtfertigenden Notstand“ berufen. Rein rechtlich betrachtet ist diese gesetzliche Hintertür” äußerst  heikel. Der rechtfertigende Notstand setzt nämlich voraus, dass der Zustand des Patienten derart bedrohlich ist, dass ein Warten auf das Eintreffen des Notarztes lebensbedrohlich für den Patienten ist. Falls es tatsächlich später vor Gericht geht ist die Notwendigkeit der medizinischen Hilfe Auslegungssache. Der Notfallsanitäter handelt folglich  sehr oft unter einem gewissen Strafbarkeitsrisiko. Und nicht geklärt ist ebenfalls die Frage,  wer dann im Falle eines Schadens haften muss.

Rheinland-Pfalz, Bayern und Schleswig-Holstein haben nun im Bundesrat erfolgreich eine Gesetzesinitiative eingebracht, die diese rechtliche Grauzone beseitigen soll. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Notfallsanitäter künftig grundsätzlich zu heilkundlichen Tätigkeiten berechtigt sein sollen. Denn  Notfallsanitäter bräuchten Rechtssicherheit um eigenverantwortlich handeln und Leben retten zu können.

Wer trägt die juristischen Konsequenzen?

Der Vorstoß des Bundesrates, Notfallsanitätern zu erlauben, im Ernstfall Spritzen zu setzen, zu punktieren und weitere auch invasive Maßnahmen zu ergreifen, sorgt allerdings in der Ärzteschaft für Unruhe. Notärzte befürchten darin eine schleichende Aushöhlung ihrer Kompetenzen. Mehrere Verbände, darunter die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie, lehnen eine Aufweichung des Arztvorbehalts ab. Eine Substitution könne Patienten gefährden und führe im Schadensfall zur Frage, wer die juristischen Konsequenzen trage.[2]

Die anästhesistischen Verbände warnen zudem vor einem „Risiko der mangelnden Erfahrung“ bei den Notfallsanitätern und einer möglichen Patientengefährdung. Sollte die Gesetzesänderung dennoch kommen, müsste in einem Indikationskatalog eine klare Definition von „Notlagen“ getroffen werden.

Übertragung ärztlicher Aufgaben per Delegation?

Eine Chance für eine bessere Versorgung bei Notfällen bietet der an der Uniklinik Aachen entwickelte „Telenotarzt“. Dabei erhalten Notärzte über die Helmkamera des Sanitäters Videobilder live von vor Ort vom Zustand des Verletzten. Der Sanitäter könnte dann nach Anweisung des Arztes handeln.

Ähnliches sah auch ein Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor. Demnach sollte auf Länderebene die Möglichkeit geschaffen werden, für besondere standardisierte Notfallsituationen per Delegation die Übertragung ärztlicher Aufgaben auf Notfallsanitäter vorzunehmen.

Spahns Vorschlag ist aber auch in seiner eigenen Partei  umstritten. Die Delegation setze ja voraus, dass der Arzt die Situation vor Ort kennt und dann klare Anweisungen erteilen könne. Das wiederum verkompliziere die Lage, weil sich der Rettungssanitäter dann jeweils rückversichern müsste. Und gerade das aber wollen die Länder mit ihrer Gesetzesinitiative vermeiden. Spahn hat seinen Vorschlag inzwischen wieder zurückgezogen.

Bundestag muss reagieren

Der Bundesrat hat den Gesetzentwurf grundsätzlich gebilligt und so ist nun der Bundestag gefordert, darauf zu reagieren. Um für das Problem eine befriedigende Lösung zu finden, die den Sanitätern mehr Rechtsicherheit gibt und zugleich auch die Sorgen der Ärzte berücksichtigt, sind gewiss noch einige Fachgespräche nötig.

Einzelnachweise:

[1] Stuttgarter Zeitung: „Notfall-Sanitäter sollen mehr Kompetenzen bekommen“, in: stuttgarter-zeitung.de vom 22. Oktober 2019, Abruf am 31. Oktober 2019

[2] ÄrzteZeitung: „Sanitäter-Kompetenzen lösen Disput unter Ärzten aus“, in: aerztezeitung.de vom 15. Oktober 2019, Abruf am 31. Oktober 2019

 

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Werner Schmid

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