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Gastro-Branche klagt über Überstundenberg

Im deutschen Gastgewerbe türmt sich ein enormer Überstunden-Berg auf: Knapp 2,15 Milliarden Arbeitsstunden haben die Beschäftigten in Deutschland im vergangenen Jahr zusätzlich geleistet – davon 1,01 Milliarden Überstunden ohne Bezahlung. Jeder Beschäftigte leistete damit im vergangenen Jahr im Schnitt 24,9 „Umsonst-Stunden“ für den Chef. Das geht aus dem „Überstunden-Monitor“ hervor, den das ISP Eduard-Pestel-Institut für Systemforschung e. V., Hannover, im Auftrag der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) erstellt hat. Damit haben die Beschäftigten den Unternehmen bundesweit gut 25 Milliarden Euro „geschenkt“, so der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Günther.[1]

In den Hotels und Gaststätten gelten nach dem der Studie zugrundeliegenden aktuellen Mikrozensus 45 Prozent aller Überstunden als unbezahlt. Mehr als die Hälfte aller Arbeitsplätze im Hotel- und Gaststättengewerbe sind Mini-Jobs – von der Küchenhilfe bis zum Kellner. Hier arbeiten überwiegend Menschen, die auf jeden Cent angewiesen sind. Insbesondere die zur Aushilfe beschäftigten Kellnerinnen und Kellner erhalten oft einen Stundenlohn, der nur unter Einbeziehung des Trinkgeldes an den Mindestlohn heranreicht.

Schwarzarbeit sichert Einkommen

Der Job in der Gastronomie gilt allgemein nicht als sonderlich attraktiv. Denn neben den wenig lukrativen Einkünften schrecken viele Menschen die Arbeitszeiten am Abend und am Wochenende. Denn im Gastgewerbe ist es gang und gäbe, weit überdurchschnittlich oft an Wochenenden und Feiertagen, spätabends und auf Abruf zu arbeiten.

Insbesondere im Tourismus mangelt es in der Saison im Hotel- und Gastgewerbe an qualifizierten Arbeitskräften. Oft schaffen es Hotels und Gasthöfe allein mit ungelernten Hilfskräften ihren Betrieb aufrecht zu erhalten. Die Aushilfskellner würden dann in Gaststätten oder Biergärten meist zu Überstunden gedrängt, obwohl ihr 450-Euro-Job keinen Extra-Euro Verdienst zulasse. „Entweder werden Überstunden dann gar nicht oder mit ‚Schwarzgeld‘ bezahlt“, befürchtet NGG-Vorsitzende Guido Zeitler.

Dehoga will Arbeitszeitgesetz aushöhlen

Die NGG startete daher die bundesweite Gastgewerbe-Kampagne #fairdient, um den gut 1,7 Millionen Beschäftigten in Hotels und Gaststätten eine öffentliche Stimme zu geben. Denn ihnen droht über den „Lohn-Aderlass bei den Überstunden“ hinaus noch ein anderes Problem: Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) drängt die Bundesregierung dazu, die Arbeitszeiten in der Gastro-Branche noch flexibler zu gestalten. Es droht eine Durchlöcherung des Arbeitszeitgesetzes und die Ausweitung der täglichen Höchstarbeitszeit auf bis zu 13 Stunden.

Das Arbeitszeitgesetz ist eigentlich ein Schutzgesetz. Denn zu viel Arbeit macht krank. Schon heute klagt jeder dritte Beschäftigte in Deutschland bei Mehrarbeit über Schlafstörungen, Erschöpfung und Rückenschmerzen. 2016 gab es im Gastgewerbe 30.000 Arbeitsunfälle und 6.000 Wegeunfälle. Diese Zahlen, so befürchtet die NGG, würden sich dramatisch erhöhen, wenn Aufmerksamkeit und Konzentration in überlangen Schichten weiter abnehmen und die Interessen der Beschäftigten nicht berücksichtigt würden.

NGG fordert höhere Löhne

In Deutschlands Tourismusregion Nummer eins, in Mecklenburg-Vorpommern, steht das Gastgewerbe jetzt vor einer harten Tarifauseinandersetzung. Zum 31. August hat die NGG fristgerecht den Tarifvertrag mit dem Arbeitgeberverband Dehoga gekündigt. Es sei es längst überfällig, die Löhne in Mecklenburg-Vorpommern den außerordentlich guten wirtschaftlichen Leistungen in der Branche anzupassen, ist man bei der NGG überzeugt. Dass Deutschlands beliebtestes Urlaubsland fast 40 Prozent weniger zahle als die Nummer zwei, der Freistaat Bayern, sei nicht länger hinnehmbar. Zu den Forderungen der Gewerkschaft gehören außerdem Sonntagszuschläge sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld.[2]

Höhere Löhne aber ziehen höhere Preise in der Gastronomie nach sich. Ob die Gäste da einfach so mitziehen, ist fraglich. Insbesondere kleinere Betrieb werden sich das kaum stemmen können. Das hat man in der Branche schon beim Kneipensterben nach der Einführung der Rauchverbote gesehen.

Unter den äußerst unattraktiven Arbeitsbedingungen in der Branche leidet auch die eh‘ schon angespannte Ausbildungsquote im Gastgewerbe. Zudem drohe den vielen Teilzeit- und Hilfskräften in der Gastronomie extreme Altersarmut. In Norddeutschland würden fast 50 Prozent der Beschäftigten weniger als 800 Euro Rente erhalten, rechnet das Pestel-Institut vor. Vor allem Frauen seien davon betroffen.[3]

Branche droht Altersarmut

Diese Zahlen bestätigen ähnliche Berechnungen der Rentenversicherer. So gab es nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung Nord in Schleswig-Holstein zum Jahresende 2017 exakt 301.951 Menschen, deren Rente maximal 800 Euro im Monat betrug. Das entspricht einem Anteil von 49,4 Prozent der Rentner des Landes. Besonders frappierend war die Situation der Frauen, von denen 67,6 Prozent maximal 800 Euro erhielten. In Hamburg lag der Gesamtanteil bei 44,6 Prozent (Frauen: 57 Prozent) und in Mecklenburg-Vorpommern bei insgesamt 25,4 Prozent (Frauen: 34,4).

Die Erosion der Normalarbeitsstellen und der Zunahme sozialrechtlich schlechter abgesicherter „atypischer Beschäftigungsverhältnisse”, wie sie gerade auch in der Gastronomie üblich sind, geht bereits auf die Mitte der 80er Jahre zurück. Die Reformen der geringfügigen Beschäftigung, der Leiharbeit und des Befristungsrechts haben die beständige Zunahme sogenannter „prekärer” Beschäftigungsverhältnisse begünstigt.[4]

Im bundesweiten Durchschnitt stieg die Quote der atypischen Beschäftigten bis zum Jahr 2017 auf rund 20,8 Prozent. Der Stadtstaat Bremen ist mit 26, 2 Prozent das Bundesland mit dem höchsten Anteil atypisch Beschäftigter unter den Kernerwerbstätigen. Im Vergleich mit anderen Bundesländern fällt auf, dass die atypische Beschäftigung dort auch unter Männern stark verbreitet ist (20,4 Prozent). Am wenigsten von atypischer Beschäftigung betroffen sind Männer in Bayern, wo die entsprechende Quote bei 8,9 Prozent liegt.

Einzelnachweise:

[1] Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gasstätten NGG: „Umsonst-Arbeit: 25 Milliarden Euro schwerer Überstunden-Berg“, in: ngg.net vom 27. Juni 2019, Abruf am 28. August 2019

[2] Norddeutscher Rundfunk NDR: „NGG fordert höheren Stundenlohn für Gastgewerbe“, in: ndr.de vom 2. August 2019, Abruf am 28. August 2019

[3] Bergedorfer Zeitung: „NGG-Gewerkschafter warnen vor Altersarmut“, in: bergedorfer-zeitung.de vom 4. Dezember 2018, Abruf am 28. August 2019

[4] Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung: „Trends und Verbreitung atypischer Beschäftigung“, in: böckler.de, WSI-Policy-Brief Nr 34 vom Juni 2019, Abruf am 28. August 2019

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Anton Anger

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