Mit einem neuen Infektionsschutzgesetz will sich die nordrhein-westfälische Landesregierung weitreichende Sonder- und Durchgriffsrechte für den Umgang mit Epidemien sichern. Dem Gesetzentwurf zufolge geht es um Regeln, die bei einer sogenannten „epidemischen Lage von landesweiter Tragweite“ gelten sollen. Eine solche Lage müsste zuvor der Deutsche Bundestag oder nordrhein-westfälische Landtag feststellen.
Wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtete, wollte die NRW-Regierung das neue Gesetz im Schnellverfahren an nur einem Plenartag durch das Parlament durchpeitschen. Die Landesregierung verspricht sich davon in Zeiten einer gesundheitlichen Krise bessere und vereinfachte Handlungsmöglichkeiten. Diie schwarz-gelbe Landesregierung von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) verfügt im Düsseldorfer Landtag über eine Stimme Mehrheit. Gegen das Vorgehen im Schnellverfahren sperrt sich jedoch die Opposition. Denn der Gesetzentwurf enthält eine Reihe teils sehr drastischer Maßnahmen. [1]
Eingriffe in elementare Grundrechte
Heftige Kritik entzündet sich insbesondere zu den laut Gesetzentwurf geplanten schwerwiegenden Eingriffen in elementare Grundrechte, wie beispielsweise das Recht auf die Freiheit der Berufsausübung. So sollen Ärzte und andere medizinische Fachkräfte, die zur Ausübung der Heilkunde befugt sind oder über eine abgeschlossene Ausbildung in der Pflege, im Rettungsdienst oder in einem anderen Gesundheitsberuf verfügen, im Fall einer Epidemie zwangsverpflichtet werden können. Von ihnen sollen die Behörden verlangen können, Dienst-, Sach- und Werkleistungen zu erbringen.
Zudem sollen die Behörden medizinisches, pflegerisches oder sanitäres Material für die Patientenversorgung beschlagnahmen können. Zugleich sollen von den Behörden Verkaufsverbote für solche Materialien oder Materialgruppen erlassen können, die notwendig sind, um die Gesundheitsversorgung im Lande aufrechtzuerhalten. Dabei soll es ihnen erlaubt werden, selbst auch die Preise für beschlagnahmtes oder mit einem Verkaufsverbot belegtes Material festzulegen. Diese müssten sich dann an denjenigen Preisen orientieren, die vor der Epidemie als allgemein üblich galten.
Aushebelung parlamentarischer Kontrolle?
Ferner soll das Schulministerium Abschlussverfahren an Schulen aussetzen und Prüfungsregeln an Hochschulen lockern dürfen. Und das Gesundheitsministerium soll ungeachtet anderer gesetzlicher Regeln Anordnungen treffen können, die sicherzustellen, dass angesichts einer Epidemie notwendige Aufgaben erfüllt werden. Letzteres würde quasi jegliche parlamentarischen Rechte außer Kraft setzen.
Die SPD-Fraktion im Landtag sprach von einem „Blankoscheck für die Regierung“. Es dürfe nicht sein, dass die Corona-Krise jetzt dazu genutzt werde, die Rechte des Parlaments so stark einzuschränken und der Regierung derart weitreichende Ermächtigungsgrundlagen einzuräumen. Das könne gegebenenfalls staatlichen Machtmissbrauch nach sich ziehen.
Sorge um das Demokratieverständnis
Erhebliche Kritik an dem Gesetz kam nicht nur von der Opposition im Düsseldorfer Landtag sondern auch von Rechtswissenschaftlern, und Ärzte- und Pflegeverbänden. Die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Anja Weber, warnte, die Demokratie dürfe nicht auf der Strecke bleiben. Und der Ärzteverband Marburger Bund kritisierte, das solche Notstandsgesetze nicht die tatsächlichen gegenwärtigen Probleme in den Krankenhäusern lösen. Denn es fehle nicht etwa nur an Schutzmaterial und Beatmungsgeräten sondern auch an Fachärzten mit intensivmedizinischer Zusatzqualifikation. Solches Personal lasse sich nicht einfach in einem Wochenendschnellkurs ausbilden[2]
Zwangsmaßnahmen in Bezug auf Arbeitsrechte sind mit der SPD nicht verhandelbar. Die SPD-Fraktion im Landtag stellte klar, dass dieses Gesetzesvorhaben keineswegs im Schnelldurchgang verabschiedet werden könne. Für eine derartige Notstandsgesetzgebung gebe es keinerlei Veranlassung. Denn die parlamentarische Demokratie sei absolut handlungsfähig. Man habe schließlich eine Gesundheitskrise und keine Demokratiekrise.
Nach einer gemeinsamen Telefonkonferenz einigten sich die Fraktionen im Landtag nun doch auf ein geregeltes Gesetzesverfahren. Der Gesetzentwurf soll nach der ersten Lesung am Mittwoch, 1. April 2020, zunächst zur Beratung in die zuständigen Ausschüsse. Im Anschluss daran solle es eine Anhörung geben. Erst danach könne die zweite Lesung erfolgen. Bei einem derartigen Procedere könnten Kritikpunkte und möglicherweise verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Verordnung angemessen beraten und ausgeräumt werden.
Der Freistaat Bayern hat bereits ein ähnliches Infektionsschutzgesetz im Eiltempo beschlossen. Trotz der darin enthaltenen weitreichenden Grundrechte-Einschränkungen hat die Opposition im bayerischen Landtag der Gesetzesverschärfung ohne zu murren zugestimmt.
Einzelnachweise:
[1] Spiegel Online: „NRW-Regierung wegen geplantem Epidemie-Gesetz in der Kritik“, in: spiegel.de vom 31. März 2020, Abruf am 1. April 2020.
[2] Der Westen: „Coronavirus in NRW: Sturmlauf gegen neues Pandemiegesetz“, in. derwesten.de vom 1 April 2020, Abruf am 1. April 2020.