Bei Verspätungen und Annullierung einer Flugreise braucht der/die Reisende viel Geduld. Noch mehr Geduld und eine kräftige Portion Ausdauer braucht man, wenn man seine Entschädigung nach der europäischen Richtlinie der Fluggastrechte durch alle Instanzen hindurch einklagen will. Respekt für Flugäste der Finnair: Ihre Hartnäckigkeit hat sich jetzt nach mehr als sechs Jahren durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) offensichtlich gelohnt.[1]
Die Reisenden buchten bei Finnair einen Direktflug von Helsinki (Finnland) nach Singapur. Dieser für den 11. Oktober 2013 vorgesehene Flug wurde jedoch aufgrund eines in der Maschine aufgetretenen technischen Problems annulliert. Nach Annahme eines entsprechenden Angebots der Finnair wurden die Reisenden auf einen Flug von Helsinki via Chongqing (China) umgebucht, Abflug am folgenden Tag.. Doch auch dieser Flug verspätete sich wegen einer defekten Servolenkung für das Steuerruder.
Auch Alternativflug verspätet
Die Reisenden erhoben Klage gegen Finnair auf Verurteilung der Fluggesellschaft zur Zahlung eines Betrags nach der Fluggastrechteverordnung – an jeden von ihnen in Höhe von 600 Euro zuzüglich Zinsen wegen der Annullierung des ursprünglichen Fluges Helsinki–Singapur. Außerdem beantragten sie, Finnair auch zur Zahlung eines Betrags an jeden von ihnen in Höhe von 600 Euro plus Zinsen wegen der Verspätung der Ankunft des Alternativfluges Helsinki-Chongqing-Singapur zu verurteilen. Denn ihr Ziel erreichten die Passagiere erst mit einer erneuten Verspätung von fast sechs Stunden.
Die finnische Airline gewährte eine Ausgleichsleistung von 600 Euro wegen der Annullierung des ursprünglichen Fluges Helsinki–Singapur. Die Gesellschaft weigerte sich jedoch, die zweite von den Reisenden begehrte Ausgleichszahlung zu leisten. Angeblich hätten die Reisenden keinen Anspruch auf eine zweite Ausgleichszahlung nach der Verordnung. Zum anderen hätte sich der Alternativflug wegen „außergewöhnlicher Umstände“ im Sinne dieser Verordnung verzögert.
Defekt am Steuerruder
Eine der drei Servolenkungen des Steuerruders zur Lenkung des Flugzeugs, das diesen Flug ausgeführt habe, sei ausgefallen, wobei der Hersteller des Flugzeuges mitgeteilt habe,dass mehrere Maschinen dieses Typs einen versteckten Fabrikations- bzw. Konstruktionsfehler aufwiesen, der die Servolenkungen des Steuerruders betreffe.
Deshalb bat das „Helsingin hovioikeus“ (Berufungsgericht Helsinki, Finnland) den EuGH um eine Vorabentscheidung darüber, ob ein Fluggast, der wegen der Annullierung eines Fluges eine Ausgleichszahlung erhalten und den ihm angebotenen Alternativflug akzeptiert hat, Anspruch auf eine Ausgleichszahlung wegen Verspätung des Alternativfluges habe, wenn die Verspätung ein Ausmaß erreicht, das zu einer Ausgleichszahlung berechtigt, und das Luftfahrtunternehmen des Alternativfluges dasselbe ist wie das des annullierten Fluges.
Unannehmlichkeiten auf beiden Flügen
Denn die EU-Verordnung enthält keine Bestimmung, mit der die Rechte der Fluggäste, die wie im vorliegenden Fall anderweitig befördert werden, beschränkt werden sollen. Das gilt auch für ihren etwaigen Ausgleichsanspruch.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs haben Fluggäste, die Annullierungen oder große Verspätungen hinnehmen mussten, Unannehmlichkeiten sowohl in Verbindung mit der Annullierung ihres ursprünglich gebuchten Fluges als auch später aufgrund der großen Verspätung ihres Alternativfluges. Daher stehe es im Einklang mit dem Ziel, diesen großen Unannehmlichkeiten abzuhelfen, wenn diesen Fluggästen ein Ausgleichsanspruch für jede dieser aufeinander folgenden Unannehmlichkeiten gewährt werde.
Keine außergewöhnlichen Umstände!
Das vorlegende finnische Gericht fragte zudem, ob sich ein Luftfahrtunternehmen für die Befreiung von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen auf „außergewöhnliche Umstände“ berufen könne. Die achte Kammer unter de Vorsitz der auf EU-Recht spe zialisierten „Professore Ordinario“ und Direktorin des International Centre on European Law (C.I.R.D.E.) der Universität Bolgna, Kammerpräsidentin Lucia Serena Rossi, verneinte dies. Die Richterin wies in ihrer Entscheidung darauf hin, dass als „außergewöhnliche Umstände“ nur solche Vorkommnisse angesehen werden könnetn, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens und tatsächlich nicht beherrschbar seien.[2]
Technische Mängel, die sich bei der Wartung von Flugzeugen zeigen, könnten als solche grundsätzlich keine „außergewöhnlichen Umstände“ darstellen. Ein Luftfahrtunternehmen kann sich folglich für die Befreiung von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen nicht auf „außergewöhnliche Umstände“ berufen, die mit dem Defekt eines sogenannten „On condition“-Teils zusammenhängen.
Für die Finnair wird es teuer
Die Entscheidung dürfte für die beklagte Finnair teuer werden. Neben den Entschädigungen (zzgl. Verzinsung über sechseinhalb Jahre!) für die klagenden acht Fluggäste fallen reichlich Gerichts- und Verfahrenskosten an. Die Kostenentscheidung fällt das vorlegende Berufungsgericht in Helsinki. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof – dies waren u. a. die Anwälte der finnischen Regierung, der deutschen Regierung, der italienischen Regierung, der österreichischen Regierung und der Europäischen Kommission – sind nicht erstattungsfähig.
Einzelnachweise:
[1] Gerichtshof der Europäischen Union: „Pressemitteilung Nr. 31/20“, in: curia.europa.eu vom 12. März 2020, Abruf am 17. März 2020.
[2] Gerichtshof der Europäischen Union: „Urteil in der Rechtssache C‑832/18“, in: curia.europa.eu vom 12. März 2020, Abruf am 17. März 2020.