Arbeitsrecht

Fortschritte bei der Gleichstellung vollziehen sich nur langsam

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, heißt es in Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG). In der Praxis aber sieht das anders aus, was sich vor allem im Berufsleben in konkreten Zahlen ablesen lässt. Zwar hat der Staat seit Einführung des Gleichberechtigungsgesetzes von 1958 viel dafur getan, um seinem Auftrag aus Art. 3, Abs. 2 GG nachzukommen. De facto aber verdienen Frauen bei gleicher Qualifikation deutlich weniger als Männer, haben schlechtere Chancen im Berufsleben und sind in ihrer wirtschaftlichen Situation wie in ihrer sozialen Absicherung noch immer deutlich schlechter gestellt als Männer.[1]

Dies zeigt eine aktuelle Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.[2] Die Forscher*innen haben dazu in einer Datenanayse verschiedene Datenquellen ausgewertet, wie unter anderem die Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit und Daten des Statistischen Bundesamtes. Zwar hätten die Frauen laut Studie in den letzten Jahren vor allem in den Bereichen Bildung, Erwerbstätigkeit und soziale Absicherung  aufholen können. Doch grundsätzliche Faktoren – wie die traditionelle Arbeitsteilung, die Präsenzkultur und der ungleichen berufliche Bewertung der Geschlechter – bremsten diese Entwicklung aus. Bei der schulischen und beruflichen Qualifikation aber haben der Studie nach Frauen weitgehend mit den Männern gleichgezogen.

Frauen arbeiten vielfach unbezahlt

Die Erwerbsbeteiligung von Frauen liegt nach der Auswertung der Sozialforscher*innen aktuell nur och um knapp acht Prozentpunkte niedriger. Vor knapp 30 Jahren war die Differenz noch fast dreimal so groß. Ein wesentlicher Grund für die fortbestehenden Unterschiede ist die ungleiche Aufteilung der unbezahlten Sorgearbeit, wie etwa bei familiärer Kinderbetreuung, Pflege oder Haushalt.

Bei Frauen macht unbezahlte Arbeit, wie vor allem im familiären Haushalt noch immer 45 Prozent an der Gesamtarbeitszeit aus. Bei Männern sind es hingegen nur 28 Prozent, auch wenn Männer zum Beispiel bei der Pflege langsam mehr Aufgaben übernehmen. Um Familie und Erwerbsarbeit unter einen Hut zu bringen, arbeiten Frauen gut viermal so häufig in Teilzeit wie Männer. Von den Beschäftigten, die ausschließlich einem Minijob nachgehen, sind 62 Prozent weiblich.

Ungleiche Karrierechancen

25 Prozent der weiblichen Beschäftigten mit Vollzeitstelle verdienen weniger als 2000 Euro brutto im Monat. Bei den Männern sind das der Studie nach lediglich 14 Prozent. Das Ungleichgewicht trägt unter anderem auch aufgrund geringerer Karrierechancen, wesentlich dazu bei, dass der durchschnittliche Stundenlohn von Frauen knapp 21 Prozent unter dem von Männern liegt. Vollzeitbeschäftigte Frauen tragen so auch ein deutlich höheres Niedriglohnrisiko als vollzeitbeschäftigte Männer.

Eine Ursache für den Verdienstrückstand sind sehr stabile geschlechtsspezifische Präferenzen bei der Berufswahl. Denn „typisch weibliche“ Berufe, etwa im Pflege- und Gesundheitsbereich, werden in der Regel meist schlechter bezahlt  als technische Berufe, in denen Männer dominieren. Immerhin trug die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns dazu bei, dass der Abstand bei den Entgelten in den vergangenen Jahren etwas kleiner wurde.

Gravierende Lücke bei sozialer Absicherung

Deutlich gravierender jedoch ist die Lücke bei der sozialen Absicherung im Alter. Nimmt man gesetzliche Rente, betriebliche und private Alterssicherung zusammen, beziehen Frauen durchschnittlich ein um 53 Prozent niedrigeres Alterseinkommen als Männer. Anfang der 1990er Jahre lag der sogenannte „Gender Pension Gap” sogar noch bei 69 Prozent. Diese Entwicklung zeige beispielhaft, dass der Rückstand der Frauen wichtigen Bereichen kleiner werde, sagt Dr. Karin Schulze Buschoff vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.  Fortschritte bei der Gleichstellung vollzögen sich halt meist sehr langsam, sagt WSI-Forscherin PD Dr. Karin Schulze Buschoff, die die Studie zusammen mit Dr. Yvonne Lott gemeinsam mit Svenja Pfahl und Dietmar Hobler vom Berliner Forschungsinstitut Sowitra erstellt hat.

Schneller voran gehe es, wenn die Politik mit Investitionen und verbindlichen Regulierungen für Dynamik sorge. Das zeige sich beispielsweise bei der Ganztagesbetreuung von Kindern, wo sich die Quote bei den Drei- bis Sechsjährigen zwischen 2007 und 2017 knapp verdoppelte. Bei Kindern unter drei Jahren habe sich diese Quote sogar nahezut verdreifacht, haben die Wissenschaftler*innen errechnet.

Frauenanteil in Führungspositionen steigt

Der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der 160 größten börsennotierten Unternehmen stieg mit der Einführung der Geschlechterquote bis 2018 auf gut 30 Prozent. In den Unternehmens-Vorständen aber, für die es bislang noch keine gesetzlichen Regeln gibt, war laut der Studie noch nicht einmal jedes zehnte Mitglied weiblich.

Besser sieht es nach der WSI-Analyse auf der zweiten Führungsebene aus, wo der Frauenanteil mit 40 Prozent nur wenig niedriger war als der Anteil an allen Beschäftigten (44 Prozent). Ähnlich fiel die Relation von weiblichen Betriebsratsmitgliedern und Belegschaftsanteil aus.

Weiterer Ausbau der Kinderbetreuung nötig

Um die Gleichstellung von Frauen und Männern auf breiter Linie wirksam zu fördern, empfehlen die Sozialwissenschaftler*innen stärkere Anreize für Männer, Sorgearbeit zu übernehmen, etwa durch eine schrittweise Erweiterung der Partnermonate im Elterngeld auf sechs Monate. Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen müssten mehr Möglichkeiten geboten werden, auch geschlechteruntypische Berufsfelder kennenzulernen.

Eine finanzielle Aufwertung von frauendominierten Berufen im Sozial-, Erziehungs- und Gesundheitsbereich, könnten diese Jobs für beide Geschlechter attraktiver machen. Für die Schaffung von Arbeitsplätzen in kurzer Vollzeit und einer Abkehr von der Vollzeit- bzw. Überstundenkultur  seien unter anderem eine ausreichende Personalbemessung, verbindliche Vertretungsregelungen und Beförderungskriterien, die sich nicht an der Präsenz am Arbeitsplatz bzw. Überstunden orientieren, die Voraussetzung. Aus Sicht der Forscher*innen müsste zudem die institutionelle Betreuung von Kleinkindern weiter ausgebaut werden.

Einzelnachweise:

[1] Wikipedia: „Artikel Gleichberechtigung, in de.wikipedia.org, Abruf am 28. Februar 2020.

[2] Hans-Böckler-Stiftung: „Gleichstellung – Wo gibt es Fortschritte und wo nicht?“, in boeckler.de vom 26 Februar 2020, Abruf am 28. Februar 2020.

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sgf

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