Holland wollte in diesem Jahr tausende neue Wohnungen bauen. Doch ohne, dass das mit 510 Einwohnern pro Quadratkilometer äußerst dicht besiedelte Land seinen Stickoxid-Ausstoß (NOx) deutlich senkt, wird daraus nichts. Denn das höchste Gericht der Niederlande, der Raad van State in Den Haag, hat im Mai alle Genehmigungsverfahren für große Bauvorhaben mit der Begründung gestoppt. Begründung: Der Stickstoff-Ausstoß des Landes dürfe im Interesse der Luftreinheit nicht noch weiter ansteigen. Alle geplanten Infrastrukturprojekte – wie auch der Ausbau von Autobahnen – konnten ohne eine generelle Senkung der Stickoxid-Emissionen nicht umgesetzt werden.[1]
Die EU-Richtlinien zu Grenzwerten für Stickoxide zwingen die holländische Regierung nun zu einer höchst unpopulären Maßnahme: Zähneknirschend entschloss sich die Regierung dazu, auf holländischen Autobahnen ein Tempolimit einzuführen. Künftig zählt in den Niederlanden auf allen Autobahnen Tempo 100 als maximale Höchstgeschwindigkeit. Ausnahmen soll es lediglich zwischen 19 und 6 Uhr geben. Dies jedoch nur für ausgewählte Autobahnabschnitte, auf denen bisher auch schon Tempo 130 erlaubt war.
Höhere Interessen
Das sei zwar eine „faule Maßnahme”, jedoch sei das Tempolimit angesichts der notwendigen Senkung des Ausstoßes von Stickoxiden unumgänglich, sagte Ministerpräsident Mark Rutte. Es gehe um höhere Interessen, sagte der Regierungschef. Die Niederlande dürften nicht blockiert werden. Dann drohten möglicherweise Arbeitsplätze in Gefahr zu geraten.
Monatelang, hatte die Koalition aus Liberalen und Christdemokraten sowie der linksliberalen D66 und der religiös-konservativen Christenunion über Möglichkeiten gestritten, wie man die Stickstoffkrise am besten überwinden könne. Während Umweltverbände die Entscheidung nun begrüßten, kritisierte der Verband der niederländischen Autohändler das Tempolimit. Der Anteil des Verkehrs auf den Schnellstraßen am Schadstoffausstoß sei nur gering. Besser gefallen hätten den Autohändlern Abwrackprämien für besonders umweltbelastende alte Autos. Freilich hätte sich der Verband davon auch mehr Neuverkäufe versprochen.[2]
Zweifel am Nutzen
Allerdings bezweifeln auch Abgas-Experten den Nutzen des Tempolimits. Denn erhöhte Stickoxid-Werte sorgten nur in den Innenstädten für Probleme. Bei älteren Fahrzeugen vor allem der Euro 5-Norm ist bekannt, dass diese oberhalb einer Geschwindigkeit von 120 km/h einen erhöhten NOx-Ausstoß erzeugen. Durch die Softwareupdates aber konnte dies verbessert worden. Und bei modernen Euro 6-Fahrzeugen blieben die NOx-Emissionen auf sehr geringem Niveau und von der Geschwindigkeit weitestgehend unabhängig, sagte Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zu Focus Online.[3]
Freie Fahrt nur noch in Deutschland
Ob das neue holländische Tempolimit bereits ab dem kommenden Jahr 2020 gelten soll, will man bis Ende Dezember entscheiden. Mit Ausnahme Deutschlands gelten auf allen europäischen Autobahnen generelle Geschwindigkeitsbegrenzungen, die meist bei Tempo 110 bis Tempo 130 liegen. Lediglich auf polnischen Autobahnen ist noch Tempo 140 erlaubt.
Die schärfste Geschwindigkeitsbegrenzung in Europa hat Norwegen. Dort sind bis auf wenige besonders ausgewiesene Straßen auch auf Autobahnen nur maximal 80 km/h erlaubt.[4] Im deutschen Bundestag war gerade erst im Oktober 2019 ein neuerlicher Vorstoß der Grünen für die Einführung eines generellen Tempolimits gescheitert – das, obwohl es in dem Grünen-Antrag gerade einmal nur um ein Tempolimit von 130 km/h ging.
Einzelnachweise:
[1] Auto Bild: „Tempo 100 für den Klimaschutz“, In: autobild.de vom 13. November 2019, Abruf am 14. November 2019.
[2] ARD Tagesschau: „Tempo 100 in den Niederlanden“, in: tagesschau.de vom 12. November 2019, Abruf am 14. November 2019.
[3] Focus Online: „Erstes Land in Europa: Niederlande führt Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen ein“, in: focus.de vom 13. November 2019, Abruf am 14. November 2019 (Anmerkung: In der Überschrift des Beitrages irrt Focus, siehe unten).
[4] Wikipedia: „Artikel: Zulässige Höchstgeschwindigkeit“, in: de.wikipedia.org, Abruf am 14. November 2019.